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„Mei–nen – Sie?“ antwortete Ida gedehnt und unmutig; „doch nein! da würde er ja nicht auf den Ball gehen“, setzte sie freudig hinzu; „da würde er zu Haus trauern und nicht die Freude aufsuchen.“

„Oder“, fuhr jener fort, „es gingen ihm vielleicht seine Wechsel aus, und er hat im Augenblick kein Geld, um seine Reise weiter fortzusetzen.“

„Nicht doch“, fiel sie ein, „wie mögen Sie nur diesem interessanten Gesicht einen so gemeinen Kummer andichten. Sieht er nicht nobler aus als alle unsere Assessoren, Lieutenants und so weiter zusammen, und er sollte mit vier Postpferden in einem herrlichen Landau fahren und weinen, weil er kein Geld hat? Pfui!“

„Ei, wie sich der kleine Advokat vereifert und verdisputiert; das Mäulchen geht ja, als sollte es einen Prozeß vor den Assisen[WS 1] führen! Übrigens wollen wir bald sehen, wer der Patron ist; habe ich doch den Ball arrangiert und daher auch das Recht, Fremden, die sich eindrängen, auf den Zahn zu fühlen.“

„Nun ja, thun Sie das, liebes Hofrätchen; aber ja recht artig und delikat“, setzte das errötende Mädchen mit den süßesten Schmeichelworten hinzu: „wer so tiefen Kummer hat, wie jener zu haben scheint, muß unter Fremden wie unter Freunden zart behandelt werden!“


Der Fremde.

Unterdessen hatten sich mehrere Herren an Berner gewendet, um zu erfahren, wer der Fremde sei; allen war es aufgefallen, wie er schon seit einer Stunde sich nicht vom Platz bewegte und, an seine Säule gelehnt, so wenig Interesse an dem glänzenden Ball zu nehmen schien. Der Hofrat ging zu ihm hin und kehrte bald zurück; „Wer ist es, wie heißt er“, fragten zehn, zwanzig zumal, „was hat er gesprochen?“

„Nichts hat er gesprochen“, antwortete Berner, „sondern mir nur diese Karte gegeben.“

Die Karte ging jetzt von Hand zu Hand, es war aber nichts darauf zu sehen als ein schön gestochenes Wappen und der Name [23] Emile, Comte de Martiniz. „Ein Graf also?“ Die Neugierde war nur halb gestillt, die Freilinger, denen die Erscheinung eines fremden Grafen auf ihren Bällen etwas Seltenes sein mochte, gingen kopfschüttelnd umher; sie hätten gar zu gerne gewußt, woher er komme, wohin er gehe, warum er nicht tanze? Man betrachtete das fremde Wundertier von allen Seiten; doch der Hofrat, der so viel Takt hatte, daß er in des Fremden Seele fühlte, wie peinlich eine so kleinliche Neugierde sein müsse, gab das Zeichen, und die Galoppade, von zwanzig Trompeten vorgetragen, rauschte durch den Saal hin und rief zum Tanze.

Walzer um Walzer waren getanzt, noch immer stand die fremde, gebietende Gestalt unbeweglich an die Säule gelehnt. Es war, als hätte er sich nur in Schwarz und Weiß geteilt und kenne keine andere Farbe. Sein Haar, sein Auge war so dunkel als das feine, glänzende Tuch seines Kleides, das blendend bleiche Gesicht, wunderschöne Wäsche, welche durch ihre Weiße, durch ihre zierlichen Fältchen den Freilinger Damen schon von weitem Bewunderung einflößte, kontrastierte sonderbar mit jener dunklen Farbe; nur die feinen Lippen schmückte ein gesundes, freundliches Rot. Er schien ganz ohne Teilnahme in das bunte Gewühl hineinzustarren, aber dennoch begegnete nicht leicht einer diesem scharfen Blick, ohne das eigene Auge überrascht vor diesem furchtbaren Ernst, dieser sprühenden Glut niederzuschlagen.

Wie es aber zu gehen pflegt; die Damen fingen nachgerade an, nicht viel von dem Fremden zu halten, weil er nicht tanzte, die jungen Herren machten sich über ihn lustig, und beide Teile hatten so viel an der neuen Erscheinung der wunderlieblichen Ida zu schauen, zu bekritteln, zu bewundern, daß man bald nicht mehr an jenen dachte. Nur Idas Blicke streiften öfter nach jener Säule hinüber; ein Blick zu ihm schien sie für das Geschwätz der Freilinger Stutzer[WS 2], die ihr heute unendlich fade vorkamen, zu entschädigen. Doch betrachtete sie ihn immer nur von der Seite, denn wenn Auge auf Auge traf, so trieb es ihr unwiderstehlich die Glut ins Gesicht, und sie war froh, daß die Musik so laut war, denn sie meinte in solchen Momenten, man müsse ihr siedendes, glühendes Blut an ihr Herzchen pochen hören. Waren es die

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Geschworenengericht.
  2. Als Stutzer gilt ein eitler, affektierter Mann, ein Modenarr.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 22–23. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_014.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)