Seite:De Wilhelm Hauff Bd 3 013.png

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.

mit einem großen Bock, worauf ein alter Diener in reicher Livree saß; am Wagen zogen vier Postpferde; das Dach war zurückgeschlagen, und es saß niemand darin als ein großer Hund. Sie wissen, wie man auf der Reise ist, man interessiert sich um die Mitreisenden, besonders wenn man glaubt, auf einerlei Station mit ihnen zu wohnen oder zu speisen. So dachte ich mir jetzt, die Reisenden, denen der Wagen gehört, seien vorausgegangen und lassen ihn langsam nachfahren. Ich sah daher alle Augenblicke aus unserm Wagen, ob ich noch keine reisenden Engländerinnen oder Französinnen gewahr werden konnte, aber immer vergebens. Endlich, als wir um eine Waldecke bogen, sah ich auf einmal einen Mann, der unter einer Eiche saß und zu dem Wagen gehören mußte.“

„Und war es derselbe, der dort an der Säule steht?“ fragte der Hofrat.

„Derselbe; er war auch ganz schwarz gekleidet wie jetzt, sein Hut lag neben ihm im Gras, seinen Kopf stützte er in die hohle Hand. Das Geräusch unseres Wagens, der jetzt, weil es bergauf ging, auch langsam fuhr, schien ihn aufzuschrecken; ohne aufzusehen, ging er mit gesenktem Haupt bis an unsere Wagenthüre. Da richtete er sich auf, und Sie können sich meinen Schrecken denken, Hofrat, als ich das nämliche geisterbleiche Gesicht sah, das auch Ihnen aufgefallen ist. Er mußte heftig geweint haben, denn Thränen hingen in den langen schwarzen Wimpern und gaben dem glühendschwarzen, sinnigen Auge einen ganz eigenen Reiz!“

„So, so? einen ganz eigenen Reiz!“ antwortete lächelnd der Hofrat, „wer hat denn meinem Mädchen erlaubt, über Männeraugen Betrachtungen anzustellen? Hat Sie das auch bei Madame La-Truiaire in der Residenz gelernt?“

Das lustige Amorettenköpfchen, das sich da, es wußte nicht wie, verbebbert hatte, schlug die Augen nieder und sagte: „Legen Sie nicht alles so bös aus, Bernerchen, Sie verstanden ja doch sonst Ihre Ida nicht immer falsch.“

„Sehen Sie, was die Augen betrifft, da habe ich nun einmal meinen eigenen Geschmack. Schöne blaue oder schwarze Augen, [21] mitunter auch recht glänzendbraune sehe ich an jedermann gern. Daher sind mir auch alle junge Herren so zuwider, weil sie selten schöne Augen haben; sie haben ihnen durch die Lorgnetten, Brillen und Gott weiß durch was sonst den schönsten Glanz benommen und stieren uns an wie gestochene Böcke; desto mehr freue ich mich, wenn ich einmal eine solche Ausnahme treffe. Eine ganz eigene Freude macht mir auch das Aufschlagen der Augen, das man unter Tausenden kaum einmal so recht anmutig, sinnig und wie man es gerne haben möchte trifft. Beides sah ich nun an dem Fremden, darum hat er mir auch so ge–.“

Da hatte sich das schnelle Schnäbelchen schon wieder verplappert! der Hofrat horchte noch immer, aber Idchen blieb still, biß die Lippen zusammen und spielte mit dem Amethystkreuz am Kollier, das unter dem Tanzen sich zwischen den Schneehügeln hinabgeschoben hatte und ganz glühend heiß geworden war.

„Ei, ei!“ warnte der Hofrat, „ich habe da in zwei Minuten Dinge gehört, wovor einem die Haut schaudern könnte; nimm dich um Gotteswillen in acht, Kind, wenn du deine Augenbeobachtungen anstellst; ich weiß es aus meiner Jugend, daß in gewissen Augen Häkchen sitzen, die uns, wenn man allzu tief schaut, festhalten, daß an kein Entrinnen zu denken ist; hast du nie etwas von der Augensprache gehört?“

„Doch“, entgegnete der kleine Übermut, „ich glaube sie auch zur Not zu verstehen.“

„Ist gar nicht von nöten; man spricht sie zwar vom Rhein bis zum Mississippi, vom Don bis zum Ohio, lerne aber nie mehr, als etwas kauderwelsch parlieren; denn wer sich so gar geläufig ausdrückt und mit zwanzig zumal in dieser Sprache spricht, gilt nicht mit Unrecht für eine Erz-General-Kokette.“

„Nun, für eine solche werden Sie mich doch nicht halten“, sagte Ida etwas empfindlich.

„Dazu kenne ich mein süßes Mädchen zu gut“, entgegnete der Hofrat traulich und drückte ihr das weiche Samthändchen. „Was aber den bleichen Patron dort drüben betrifft, so kann er über allerlei geweint haben; er kann zum Beispiel seine Mutter, seine Schwester oder gar sein Mädchen verloren haben.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 20–21. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_013.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)