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Nu stoben die Glückwünschenden auseinander und machten Raum für die Assessoren, Lieutenants, Sekretärs, jungen Kaufherrn, Jagdjunkern, die glücklicherweise noch nicht versagt waren und sich jetzt um einen Walzer, eine Ekossäse[1] oder gar Kotillon mit Ida die Hälse brechen wollten. Sie aber lachte, daß die Schneeperlen der Zähne durch die Purpurlippen heraussahen, behauptete, sich immer nur auf eine Tour zu versagen, hüpfte dem Hofrat entgegen und reichte ihm die kleine Hand.

Selig, gerührt, begeistert stellte er sich mit seinem holden Engelskind an die Spitze der Kolonne und marschierte unter den mutigen, lockenden Tönen der Polonäse stolzen Schrittes gegen das wohlunterhaltene feindliche Tirailleurfeuer[WS 1], das von vorn, von den Flanken, überall her aus den Mündungen der Lorgnetten auf seine Tänzerin sprühte. Aber diese, war sie kurzsichtig, hatte sie statt des Korsettchens einen Kürassierpanzer[WS 2] vom feinsten Stahl mit der Musketenprobe um das Herzchen, oder war sie das Feuer so gewohnt wie die alte Garde, die, Gewehr im Arm, im Paradeschritt durch das Kartätschenfeuer marschierte? Ich weiß nicht, aber sie schien gar nicht auf die schrecklichen Ausbrüche der gebrochenen Herzen, auf die Knallseufzer der Verwundeten zu hören, das Plappermäulchen ging so ruhig fort, als ginge sie, drei Jahre jünger, mit dem guten Hofrätchen im Wald spazieren.

Da kamen alle die Streiche, die der leichte Springinsfeld losgelassen, alle jene tausend Schwieten[2] des kleinen Übermuts aufs Tapet[WS 3]; Lust und Lachen blitzte wie ehemals aus ihrem Auge, wenn sie sich erinnerte, wie sie einer Spanferkel Kindszeug angezogen und sie dem Hofrat als Fündling vor die Thüre gelegt, wie sie dem Oberpfarrer die Waden voll Stecknadeln gesetzt, daß sie aussahen wie der Rücken eines Stachelschweins, alles ohne daß er es merkte, denn er trug falsche. Der Hofrat wollte seinen Ohren nicht trauen; es war ja dasselbe lustige, naive Ding wie früher und doch so wunderherrlich, so groß, mit so unendlich viel Anstand und Würde! Er hätte sie auf der Stelle am Kopf nehmen [17] und recht abküssen mögen, wie früher, wenn sie einen rechten Ausbund von Schelmenstreich gemacht hatte.

Es ging über seine Begriffe! „Wie können Sie nur so hartherzig sein, Idchen!“ sagte er, „und nicht einen Blick auf unsere jungen Herren werfen, die zerschmelzen wie Wachs am Feuer? Nicht einmal einen Blick für alle diese Exklamationen und Beteuerungen, welche Sie doch gehört haben müssen?“

„Was gehen mich Ihre jungen Herren an“, plapperte sie mit der größten Ruhe fort, „die sind hier wie überall unverschämt wie die Fleischmücken im Sommer; das könnte kein Pferd aushalten, wollte man darauf achten; sie pfeifen in der Residenz ebenso, das wird man gewohnt; so von Anfang macht es ein wenig eitel; wenn man aber sieht, wie sie dieser und jener dasselbe zuflüstern, vor der Ursel ebenso wie vor der Bärbel sterben möchten, so weiß man schon, was solche schnackische Redensarten zu bedeuten haben.“

Die muß eine gute Schule durchgemacht haben, dachte der Hofrat; siebzehn Jahre alt und spricht so mir nichts, dir nichts von der Farbe, als wäre sie seit zwanzig Jahren in den Salons von Paris und London umhergefahren. Er ärgerte sich halb und halb über Mamsell Neunmalklug und Übergescheid, denn es waren just keine unebene junge Männer, die ihre Seufzer so hageldicke losgelassen hatten, und ihn, der in seiner Jugend wohl so zwanzig Amouren und Amürchen gehabt hatte, konnte nichts mehr ärgern als ein fühlloses Herz.

Aber dieser Ärger konnte bei seinem Idchen nicht in ihm aufsteigen. Wenn er in ihr volles, glühendes Auge sah, wenn er den süßgewölbten Mund betrachtete, da dachte er: Nein, dir traue dieser und jener, aber ich nicht, weiß ich doch von früher her, wie du gerne Flausen machst und dem guten ehrlichen Berner gerne ein X für ein U unterschiebst. Jetzt willst du dein Schach verdeckt spielen und mir irgend einen blauen Dunst vorschwefeln, und das Herzchen ist am Ende doch in der Residenz geblieben und Fräulein Stahlherz ist nur darum so spröde gegen die Freilinger Stadtkinder. Aber basta! der Hofrat Berner hat auch gelebt und geliebt und wettet seinen Kopf, dieses Auge weiß, was Liebe ist,


  1. Ekossäse (franz.), d. h. schottisch; ein Gesellschaftstanz mit mehreren kurzen Touren.
  2. Schwieten (Suiten), d. h. tolle Streiche.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Tirailleure waren Schützen, Einheiten der leichten Infanterie.
  2. Kürassiere waren gepanzerte Soldaten der schweren Kavallerie.
  3. Die Redewendung „etwas aufs Tapet bringen“ bedeutet „etwas ansprechen“, „etwas zum Thema machen“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 15–16. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_011.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)