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zehn gegen eins, daß uns besagter ‚Mann im Mond‘ auf den ersten Anblick nicht zusagen konnte … Aber wie ward uns, wir wollten mit kritischem Auge lesen, und der Gegenstand riß uns unwiderstehlich in seine Mitte. Wir fingen an, Respekt zu bekommen vor diesem ‚Mann im Mond‘, die Novelle zart und angenehm angelegt, die wirklich interessanten Situationen nicht wie gewöhnlich bei den Haaren herbeigezogen zu finden; das Interesse wuchs von Blatt zu Blatt, wir glaubten, sein Meisterstück zu sehen. Zwar störte uns hin und wieder die beinahe geflissentliche Gemeinheit des Ausdruckes, es war uns, als sei er sonst mit mehr Natürlichkeit unsauber und marmorbusig gewesen; als wir aber weiter und weiter lasen, als die Erzählung mit wachsender Anmut zu einer Höhe fortschritt, die wir in Claurens übrigen Schriften umsonst suchten, als, wie zur Erinnerung, daß man noch im Gebiet der Vergißmeinnichten wandle, hin und wieder hageldick die beliebten Wachtstubenausdrücke erschienen, da war es uns, als ob dieser ‚Mann im Mond‘ die gelungenste Satire wäre auf alles, was Clauren heißt.

… Wenn irgend etwas diesem ‚Mann im Mond‘ zur Last fallen könnte, so ist es das, daß er unter dem erhabenen Titel sich bei den Verehrern seines Herrn Stiefpapa einschleicht … Die Claurensche Muse hat dem Herrn Papa Hörner aufgesetzt und sub titulo desselben ein Kindlein zur Welt gefördert, das der Liebe des Publikums ungleich würdiger ist als die Sprößlinge, die aus der immer lauer werdenden Ehe als echtes Gesindel hervorgehen … Im übrigen und ohne diese unsaubere Zuthat wäre die Novelle der ‚Mann im Mond‘ eine der gelungensten zu nennen, die seit geraumer Zeit unter der großen Flut von Erzählungen erschienen; gelungener auf jeden Fall, als sie Herr Clauren je schreiben kann. Wir können also diese Satire nicht anders als eine in edlem Geiste gedachte und geschriebene nennen …“

Bei solcher Anerkennung konnte Hauff seinen Zweck als erreicht ansehen. Während noch der gerichtliche Prozeß spielte, arbeitete er, wie wir wissen, an seinem „Lichtenstein“ und trat nach dessen Vollendung seine Reise nach Paris an. Hier begann er nun seinem „Mann im Mond“ noch ein ernstes Nachspiel zu geben und mit kräftigen, entschiedenen Worten seiner Entrüstung Ausdruck zu verleihen in der „Kontrovers-Predigt über H. Clauren und den Mann im Mond“, die er auf der Reise vollendete und während seines Aufenthaltes in Berlin in der „Litterarischen Mittwochsgesellschaft“ vorlesen mußte. Sie erschien dann, wie die übrigen Werke, bei Franckh in Stuttgart. Hauff selbst schreibt darüber an seinen Bruder, der einige Aussetzungen gemacht hatte: „Ich denke darüber ganz wie Du; auch ich fand immer [9] allzugut, daß besonders in den letzten Teilen von dem Ton abgewichen ist. Die Schuld davon schreibe ich nicht mir allein, sondern den Umständen zu: ich fing sie in Paris an, setzte sie in Brüssel fort, schrieb daran in Antwerpen und Gent und vollendete sie in Kassel. Muß man da nicht aus dem Ton kommen? In der litterarischen Mittwochsgesellschaft mußte ich sie an Schadows Abschiedsfest[1] vor einer ungeheuren Versammlung von Staats- und Kirchendienern, Künstlern, Dichtern und Gelehrten vorlesen. Sie fand viel Beifall, und als ich selbst bemerkte, daß der zweite Teil unkünstlerisch verschieden sei vom ersten, da schüttelte mir der alte Nicolovius[2], Präsident der kirchlichen Angelegenheiten, die Hand und machte mir das rührende Kompliment, daß mich ein edler Zorn im zweiten Teil nicht recht zum Scherz kommen lasse. Die Predigtrezension von einem Berliner Papst und Zionswächter war mir so auffallend als angenehm.“ Diese „Kontrovers-Predigt“ aber erregte noch einmal die Helden der Feder, ihre Meinung für oder wider Clauren zu äußern. Im „Bemerker“ Nr. 6 des „Gesellschafters“ vom 7. März 1827 erschien aus der Feder C. Riedmanns[3] ein Aufsatz „H. Clauren und seine Doppelgänger“, der einerseits einen ungerechten Angriff auf den „Mann im Mond“ insofern wagte, als er diesen für eine niedrige, nur auf Täuschung des Publikums und materiellen Gewinn berechnete Buchhändlerspekulation ausgab, andererseits jedoch auch eine gerechte Verteidigung gegen die übertriebenen Schmähungen auf Claurens Schriften versuchte. Riedmann sagt hier unter anderem:

„… Wo wäre in dem ‚Mann im Mond‘ der Charakter der Parodie zu finden? Wo jene scherzhafte, witzige Anwendung der Claurenschen Ideenkette? Wo ist jener witzige Spott über Claurens Schwächen und über die tief zum Verderben führende Richtung der Claurenschen Schriften, welche der Sittenprediger ihm später feierlich aufbürdet? Jeder Unbefangene fand in jener After-Claurenschen Erzählung nichts mehr und nichts weniger, als eine mitunter sehr glückliche Nachbildung der Claurenschen Manier, mit etwas steifen und überladenen Claurenschen Redensarten. Wußte aber der Doppelgänger die Satire nicht tiefer aufzufassen, so konnte sie niemand zum Lächeln bringen. Zum


  1. Friedr. Wilh. Schadow (1789–1862), berühmter Historienmaler, seit 1819 Professor der Akademie zu Berlin, wurde 1826 als Direktor der Kunstakademie nach Düsseldorf berufen.
  2. Georg Heinr. Ludw. Nicolovius (1776–1839), Wirklicher Geheimer Oberregierungsrat und seit 1808 Ministerialdirektor im preuß. Kultusministerium.
  3. Karl Chr. Friedr. Riedmann (1805–30), Schriftsteller, seit November 1829 Redakteur der „Mitternachtszeitung“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 8–9. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_007.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)