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und damit großes Glück machte.“ Nun legt aber Hauff in der „Kontrovers-Predigt“ so entschiedenen Nachdruck darauf, daß er das Werk von Anfang an auf eine Persiflage, eine Verhöhnung Claurens durch eine Übertreibung von dessen Manier abgesehen habe, daß jedermann geneigt sein muß, den Worten Hauffs mehr Glauben zu schenken, nämlich, daß er den Roman erst kaum begonnen hatte, als er anfing, ihn zu einer Satire auf Clauren zu gestalten.

Die zweite Ansicht, daß Hauff überhaupt nur eine bloße Nachahmung Claurens beabsichtigt habe, wird auf das Fehlen eines solchen harmlosen Originals, sowie auf die von Anfang an in Claurens Tonart gehaltene und durchgeführte Behandlung des Romans gestützt.

Doch suchen wir uns an der Hand des vorliegenden Materials selbst ein unbefangenes Urteil zu bilden. Wir haben an anderem Orte[1] gesehen, daß Hauff den ersten Teil der Satansmemoiren im Frühjahr 1825 der Franckhschen Buchhandlung in Stuttgart zum Verlag anbot, die ihn auch annahm, jedoch mit der Bemerkung, daß „ein Roman von der Art, die zur Zeit so flott gehen“, willkommener gewesen wäre.[2] Diese Äußerung kann nun in der That sehr wohl in Hauff den Gedanken wachgerufen haben, einen solchen Roman zu schreiben. Hatte er nur den passenden Stoff gefunden, so konnte ihm, dem gewandten Erzähler und guten Kenner der Claurenschen Muse, ein solcher Versuch nicht schwer fallen, zumal er schon vorher gelegentlich unbewußt in die Manier des Berliner Litteraten verfallen war: man denke nur an die Erzählung des Kellners im vierten und an die Unterhaltung der beiden jungen Mädchen im zwölften Kapitel der „Memoiren des Satan.“ Und siehe da, auch der Stoff war bereits vorhanden.

Hauff hatte nämlich während seiner Tübinger Zeit (1823) einmal eine kleine, harmlose Novelle entworfen, deren Gegenstand ein infolge eines unglücklichen Zweikampfes von finsterer Schwermut befallener junger Mann war, der durch die Liebe eines beherzten Mädchens geheilt wurde. Diese kurze Geschichte, deren wenige Seiten umfassendes Manuskript sich noch in Klaibers Händen befindet, nahm er nun wieder hervor, und zwar mit dem Gedanken, Clauren selbst zu mystifizieren, in der Weise, wie es Willibald Alexis (Wilhelm Häring) so trefflich mit Scott in seinem Roman „Walladmor“ gelungen war. Über diese Absicht muß sich Hauff jenem gegenüber selbst einmal geäußert haben, denn Wilhelm Häring schreibt am 1. Dezember 1827 im „Berliner Konversationsblatt“ [5] Nr. 238 in seinem „Freundesnachruf“: „Die erste Veranlassung zum ‚Mann im Mond‘ wollte er aus dem ‚Walladmor‘ entnommen haben.“

Zu diesem Plan, Clauren durch Nachahmung seiner Manier zu mystifizieren, wird sich nun bald der Einfall gesellt haben, ihn durch Übertreibung seiner Schwächen zu verhöhnen und damit die frivolen Liebhabereien des Publikums selbst zu bekämpfen. Hauff mag schon damals das gefühlt haben, was er später in der „Kontrovers-Predigt“ ausgesprochen hat, was aber die Vertreter der erstgenannten Ansicht auf eine Zeit beziehen wollen, wo der von ihnen angenommene ursprüngliche Roman schon fast vollendet war – nämlich: „Gegen Gift hilft nur wieder Gift. Ich dachte nach über Ursache und Wirkung jener Mimili-Manier, ich betrachtete genau die Symptome, die sie hervorbrachte und ich erfand ein Mittel, worauf ich Hoffnung setzte. Aus denselben Stoffen, sprach ich zu mir, mußt du einen Teig kneten, mußt ihn würzen mit derselben Würze, nur reichlicher überall, nur noch pikanter etc.“ – Und warum sollte er uns hier nicht der Wahrheit gemäß berichten? Warum sollten wir ihm, dem sonst so ehrlichen Manne, hier nicht trauen dürfen? Wir können also, ohne Hauff einer Unwahrheit in seiner „Kontrovers-Predigt“ zu beschuldigen, sehr wohl annehmen, daß er anfangs im Geiste einen Roman à la Clauren beabsichtigte, d. h. mit dessen leicht flüssigem Stil, mit dessen Berechnung für den weitesten Leserkreis und mit dessen frivolem Köder gespickt, daß er aber auch von Anfang an sich des sittenverderbenden Einflusses solcher Kost bewußt war und die Arbeit kurz nach ihrem Beginne durch absichtliche Übertreibung seines Musters zu einer Satire stempelte. Daher also von vornherein die Claurensche Wendungen und doch das Fehlen eines Originals ohne den satirischen Beigeschmack, daher der schon im Beginne des Romans durchscheinende Spott und dennoch früher einmal die Absicht einer wirklichen Nachahmung der Mimili-Manier.

„Der Mann im Mond“ erschien im Herbst 1825 im Franckhschen Verlag und wurde im „Wegweiser“ Nr. 83 der „Abendzeitung“ vom 15. Oktober 1825 mit folgenden Worten angekündigt:

„Bei Friedr. Franckh in Stuttgart hat soeben die Presse verlassen und ist in allen Buchhandlungen Deutschlands zu haben: ‚Der Mann im Mond, oder: Der Zug des Herzens ist des Schicksals Stimme‘ von H. Clauren. 2 Teile. 3 Thlr. sächs.

Die unnachahmliche Manier des Verfassers ist zu bekannt, zu beliebt, als daß sie noch irgend einer Empfehlung bedürfte.


  1. Vergl. die Einleitung zu den „Memoiren des Satan“ (Bd. 2, S. 177).
  2. Ich stütze diese Darstellung auf den Bericht Klaibers in „Nord und Süd“, 1878, V.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 4–5. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_3_005.png&oldid=- (Version vom 31.7.2018)