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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Lord; „was ist Ihr Skandal auf der Börse gegen diesen kirchlichen Unfug? O mein Frankreich, mein armes Frankreich!“

„Es ist wahr“, antwortete Mylord sehr ernst, indem er dem Franzosen die Hand drückte; „Sie sind zu beklagen. Aber ich glaube nicht an diese tollen Possen; Frankreich kann nicht so tief sinken, um sich so unter den Pantoffel zu begeben. Frankreich, das Land des guten Geschmacks, der fröhlichen Sitten, der feinen Lebensart, Frankreich sollte schon im Jahr 1826 vergessen haben, daß es einst der gesunden Vernunft Tempel erbaute und den Jesuiten die Kutte ausklopfte? Nicht möglich, es ist ein Blendwerk der Hölle!“

„Das möchte doch nicht so sicher sein“, sagte ich. „Das Vaterland des Herrn Marquis gefiel sich von jeher in Kontrasten; wenn einmal der Jesuitismus dort zur Mode wird, möchte ich für nichts stehen.“

„Aber was wollten sie nur mit dem Affen in Notre Dame?“ fragte der Baron, „was hat denn dieses Tier zu bedeuten.“

„Das ist, wie ich von der Theaterdirektion vernahm, der Affe Jocko[1], der sonst diese Leute im Theater belustigte. Jetzt ist er wohl auch von den Missionären bekehrt worden, und wenn er, wie man aus seinen Seitensprüngen schließen könnte, ein Protestant ist, so werden sie ihn wohl in der Kirche taufen.“

God damn! Was Sie sagen; doch Sie scheinen mit der Theaterdirektion bekannt; sagen Sie uns, was noch aufgeführt wird; wenn es nichts Interessantes ist, so denke ich, gehen wir weiter, denn ich finde diese Pantomimen etwas langweilig.“

„Es kommt nur noch ein Akt, der mehr allgemeines Interesse hat“, antwortete ich; „es wird nämlich ein diplomatisches Diner aufgeführt, das der Reis-Efendi den Gesandten hoher Mächte gibt. Das Siegesfest der Festung Missolunghi[2] vorstellend. Es [475] werden dabei Ragouts aus Griechenohren, Pastetchen von Philhellenennasen aufgetischt. Das Hauptstück der Tafel macht ein Rostbeuf von dem griechischen Patriarchen, den sie lebendig geröstet haben, und zum Beschluß wird ein kleiner Ball gegeben, den ein besternter Staatsmann, so alt er sein mag, mit der schönsten Griechensklavin aus dem Harem seiner muhamedanischen Majestät eröffnet.“

„Ei!“ rief der Marquis, „was, wollen wir diese Schande der Menschheit sehen? Ihre Londoner Börse war lächerlich, die Prozession gemein und dumm, aber diese ekelhafte Erbärmlichkeit, ich kann sie nicht ansehen! Kommet, meine Freunde, wir wollen lieber noch die Geschichte des Herrn von Garnmacher hören, so langweilig sie ist, als dieses diplomatische Diner betrachten!“

Der Lord und der deutsche Baron willigten ein. Sie standen auf und verließen mein Theater, und der Lord sah, als er heraustrat, mit einem derben Fluche zurück und rief:

„Wahrlich, es steht schlimm mit der Zukunft von 1826!“


Ende des zweiten Teils.




  1. In den zwanziger Jahren wurden an den Bühnen vielfach Stücke aufgeführt, in denen ein Affe, von einem besondern Grotesktänzer dargestellt, die Hauptrolle spielt. Das erste derartige Stück war das 1825 von dem Tänzer Mazurier in Paris aufgeführte unter dem Titel: „Joko, ou le singe du Brésil“, das beste das Ballett „Joko“ mit trefflicher Musik von dem Stuttgarter Hofkapellmeister Pet. Jos. v. Lindpaintner (1791–1856).
  2. Die griechische Stadt Missolunghi wurde zweimal vergebens von den Ägyptern belagert und fiel erst bei dem Ansturm des vereinigten Heeres der [475] Türken und Ägypter (22. April 1826); dieser Fall schreckte dann endlich die europäischen Mächte aus ihrer bisherigen Ruhe zur Unterstützung der Griechen auf.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 474–475. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_239.jpg&oldid=- (Version vom 23.7.2019)