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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

und wie man auch ohne Arzt sterben könne u. s. w. sind nicht zu zählen; kurz, man kann in meinem Vaterland annehmen, daß unter fünfzig Menschen immer einer Bücher schreibt; ist einer einmal im Meßkatalog gestanden, so gibt er das Handwerk vor dem sechzigsten Jahr nicht auf. Sie können also leicht berechnen, meine Herren, wieviel bei uns gedruckt wird. Welcher Reichtum der Litteratur, welches weite Feld für die Kritik!“

Der junge Deutsche hatte diese letzten Worte mit einer Ehrfurcht, mit einer Andacht gesprochen, die sogar mir höchst komisch vorkam; der Lord und der Marquis aber brachen in lautes Lachen aus, und je verwunderter der junge Herr sie ansah, desto mehr schien ihr Lachreiz gesteigert zu werden.

Monsieur de Garnmackre! Nehmen Sie es nicht übel, daß ich mich von Ihrer Erzählung bis zum Lachen hinreißen ließ“, sagte der Marquis, „aber Ihre Nation, Ihre Litteratur, Ihre kritische Manufaktur kam mir unwillkürlich so komisch vor, daß ich mich nicht enthalten konnte, zu lachen. Ihr seid sublime Leute! das muß man euch lassen.“

„Und der Herr hier hat recht“, bemerkte Mylord mit feinem Lächeln. „Alles schreibt in diesem göttlichen Lande, und was das schönste ist, nicht jeder über sein Fach, sondern lieber über ein anderes. So fuhr ich einmal auf meiner grand tour in einem deutschen Ländchen. Der Weg war schlecht, die Pferde womöglich noch schlechter. Ich ließ endlich durch meinen Reisebegleiter, der deutsch reden konnte, den Postillon fragen, was denn sein Herr, der Postmeister, denke, daß er uns so miserable Pferde vorspanne? Der Postillon antwortete: ‚Was das Post- und das Stallwesen anbelangt, so denkt mein Herr nichts.‘

Wir waren verwundert über diese Antwort, und mein Begleiter, dem das Gespräch Spaß machte, fragte, was sein Herr denn anderes zu denken habe? ‚Er schreibt!‘ war die kurze Antwort des Kerls. ‚Wie? Briefverzeichnisse, Postkarten?‘ – ‚Ei, behüte‘, sagt er, ‚Bücher, gelehrte Bücher.‘ – ‚Über das Postwesen?‘ fragten wir weiter. ‚Nein‘, meinte er, ‚Verse macht mein Herr, Verse, oft so breit als meine fünf Finger und so lang als mein Arm!‘ und klatsch! klatsch! hieb er auf die mageren Brüder [463] des Pegasus und trabte mit uns auf dem stoßenden Steinweg, daß es uns in der Seele wehe that. ‚God damn!‘ sagte mein Begleiter, ‚wenn der Herr Postmeister so schlecht auf dem Hippogryphen sitzt wie sein Schwager auf diesen Kleppern, so wird er holperichte Verse zu Tage fördern!‘ Und auf Ehre, meine Herren, ich habe mich auf der nächsten Station erkundigt, dieser Postmeister ist ein Dichter und wie Sie, Mr. Garnmacher, ein großer Kritiker.“

„Ich weiß, wen Sie meinen“, erwiderte der Deutsche mit etwas unmutiger Miene, „und Ihre Erzählung soll wohl ein Stich auf mich sein, weil ich eigentlich auch nicht für dieses Gebiet der Litteratur erzogen worden. Übrigens muß ich Ihnen sagen, Mylord, in Ihrem kalten, systematischen, nach Gesetzen ängstlich zugeschnittenen Land möchte etwas dergleichen auffallen, aber bei uns zu Lande ist das was anderes. Da kann jeder in die Litteratur hineinpfuschen, wann und wie er will, und es gibt kein Gesetz, daß einem verböte, etwas Miserables drucken zu lassen, wenn er nur einen Verleger findet. Bei den Kritikern und Poeten meines Vaterlandes ist nicht nur in Hinsicht auf die Phantasie, die schöne romantische Zeit des Mittelalters, nein, wir sind, und ich rechne mich ohne Scheu dazu, samt und sonders edle Rauhritter, die einander die Blumen der Poesie abjagen und in unsere Verliese schleppen, wir üben das Faustrecht auf heldenmütige Weise und halten litterarische Wegelagerungen gegen den reich beladenen Krämer und Juden. Die Poesie ist bei uns eine Gemeindewiese, auf welcher jedes Vieh umherspazieren und Blumen und Gras fressen kann nach Belieben.“

„Herr von Garnmacker“, unterbrach ihn der Marquis de Lasulot; „ich würde Ihre Geschichte erstaunlich hübsch und anziehend finden, wenn sie nur nicht so langweilig wäre. Wenn Sie so fortmachen, so erzählen Sie uns achtundvierzig Stunden in einem fort. Ich schlage daher vor, wir verschieben den Rest und unsere eigenen Lebensläufe auf ein andermal und gehen jetzt auf die Höllenpromenade, um die schöne Welt zu sehen!“

„Sie haben recht“, sagte der Lord, indem er aufstand und mir ein Sixpensestück zuwarf, „der Herr von Garnmacher weiß

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 462–463. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_233.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)