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und noch oft muß ich mich wundern, wie richtig sein Kalkül war. Die Deutschen, dachte er, kommen nicht dazu, etwas für einen weit aussehenden Plan, für ein fernes Land und dergleichen zu thun; entweder sagen sie: ‚Es war ja vorher auch so, lasset der Sache ihren Lauf, wer wird da etwas Neues machen wollen.‘ Oder sie sagen: ‚Gut, wir wollen erst einmal sehen, wie die Sache geht, vielleicht läßt sich hernach etwas thun.‘ Fällt aber etwas in ihrer Nähe vor, können sie selbst etwas Seltenes mit eigenen Augen sehen, so lassen sie es sich ‚etwas kosten‘.

Man war dem Griechen früher oft in mancher kleinen Stadt sehr dankbar, daß er doch wieder eine Materie zum Sprechen herbeigeführt habe, eine Seltenheit, welche die Weiber beim Kaffee, die Männer beim Bier traktieren konnten.

Was für Aussichten blieben mir übrig? Mein Onkel war tot, ich hatte nichts gelernt, so schlug ich ein, Grieche zu werden. Jetzt fing ein Unterricht an, bei welchem wir bald so vertraut miteinander wurden, daß mir mein Führer sogar Schläge beibrachte. Er lehrte mich alle Gegenstände auf Neugriechisch nennen, bleute mir einige Floskeln in dieser Sprache ein, und nachdem ich hinlänglich instruiert war, schwärzte er mir Haar und Augbraunen mit einer Salbe, färbte mein Gesicht gelblich, und – ich war ein Grieche. Mein Kostüm, besonders das für vornehme Präsentationen, war sehr glänzend, manches sogar von Seide. So zogen wir im Land umher und gewannen viel Geld.“

„Aber, mein Gott“, unterbrach ihn der Franzose, „sagen Sie doch, in Deutschland soll es so viele gelehrte Männer geben, die sogar griechisch schreiben. Diese müssen doch auch sprechen können; wie haben Sie sich vor diesen durchbringen können?“

„Nichts leichter als dies, und gerade bei diesen hatte ich meinen größten Spaß; diese Leute schreiben und lesen das Griechische so gut, daß sie vor zweitausend Jahren mit Thucydides hätten korrespondieren können, aber mit dem Sprechen will es nicht recht gehen; sie mußten zu Haus immer die Phrasen im Lexikon aufschlagen, wenn sie sprechen wollten; da hatte ich nun, um aus aller Verlegenheit zu kommen, eine herrliche Floskel bereit: – – – – ‚Mein Herr! das ist nicht griechisch.‘ Mein Führer [455] unterließ nicht, sogleich, was ich gesagt, dem Publikum ins Deutsche zu übersetzen, und jene Kathedermänner kamen gewöhnlich über das Lächeln der Menschen dergestalt außer Fassung, daß sie es nie wieder wagten, griechisch zu sprechen.

So zogen wir längere Zeit umher, bis endlich in Karlsbad die ganze Komödie auf einmal aufhörte. Wir kamen dorthin zur Zeit der Saison und hatten viele Besuche. Unter andern fiel mir besonders ein Herr mit einem Band im Knopfloch auf, der mir große Ähnlichkeit mit meinem Vater zu haben schien. Er besuchte uns einigemal, und endlich, denken Sie sich mein Erstaunen, höre ich, wie man ihn Herrn von Garnmacher tituliert. Ich stürzte zu ihm hin, fragte ihn mit zärtlichen Worten, ob er mein verehrter Herr Onkel sei, und entdeckte ihm auf der Stelle, wie ich eigentlich nicht auf klassischem Boden in Athen, sondern als königl. sächsisches Landeskind in Dresden geboren sei. Es war eine rührende Erkennungsszene. Das Staunen des Publikums, als der Grieche auf einmal gutes Deutsch sprach, die Verlegenheit meines Oheims, der mit vornehmer Gesellschaft zugegen war und nicht gerne an meinen Vater, den Marchand tailleur, erinnert sein wollte, die Wut meines Führers, alles dies kam mir trotz meiner tiefen Rührung höchst komisch vor.

Der Führer wurde verhaftet, mein Onkel nahm sich meiner an, ließ mir Kleider machen und führte mich nach Berlin. Und dort begann für mich eine neue Katastrophe.“


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2) Der Baron wird ein Rezensent.

„Mein Onkel war ein nicht sehr berühmter Schriftsteller, aber ein berüchtigter, anonymer Kritiker. Er arbeitete an zehn Journalen, und ich wurde anfänglich dazu verwendet, seine Hahnenfüße ins Reine zu schreiben. Schon hier lernte ich nach und nach in meines Onkels Geist denken, faßte die gewöhnlichen Wendungen und Ausdrücke auf und bildete mich so zum Rezensenten. Bald kam ich weiter; der herrliche Mann brachte mir die verschiedenen Klassen und Formen der Kritik bei, über welche ich

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 454–455. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_229.jpg&oldid=- (Version vom 13.11.2020)