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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

solchen Depeschen zu verwenden pflegen.“ Dann betrachtete er genau das Kouvert des Briefes und fand darauf die gedruckten Zeichen jeder Poststation von Wien bis Frankfurt, und keines fehlte. Er verglich sodann diese Zeichen mit der Liste der Postzeichen, die er zur Hand hatte, und – sie waren richtig.

Hatte er zuvor den Herrn Zwerner, Handelsmann aus Dessau, als ein kleines Paarmalhunderttausend-Gulden-Männchen so obenhin behandelt, wie der Löwe das Hündchen; so wuchs jetzt seine Achtung mit unglaublicher Schnelle. Er hätte zwar am liebsten selbst den Kurier bekommen samt der inhaltschweren Depesche; doch, da dies nicht mehr zu ändern war, machte er gute Miene zum bösen Spiel, dankte, daß man ihn sogleich von der wichtigen Nachricht avertiert habe und berechnete dabei, welche Summen dem Dessauer diese Nachricht gekostet haben könnten, indem er annahm, dieser Kaufmann müsse die Preise, die er in Wien für solche Winke bezahlte, überboten haben. Es war Börsenzeit, er selbst fuhr mit auf die Börsenhalle.

Börsenhalle! Unter diesem Namen stellt sich wohl der Fremde, der diese Einrichtung noch nie gesehen, ein weitläufiges Gebäude vor, wie es der Stadt Frankfurt würdig wäre, mit weiten Sälen, Seitengängen, schönen Portalen und dergleichen. Wie wundert er sich aber und lächelt, wenn er in diese Börsenhalle tritt! Man stelle sich einen ziemlich kleinen, gepflasterten Hof, von unansehnlichen Gebäuden eingeschlossen, vor, wo man mit Bequemlichkeit Pferde striegeln, Wagen reinigen, waschen, Hühner und Gänse füttern und dergleichen solide häusliche Hantierungen verrichten könnte. Statt des ehrwürdigen Truthahns, statt der geschwätzigen Hühner und Gänse, statt des Stallknechts mit dem Besen in der Faust, statt der Küchendame, die hier ihren Salat wäscht – sieht man hier zwischen zwölf und ein Uhr mittags ein buntes Gedränge; Männer mit dunkelgefärbten, markierten Gesichtern, mit schwarzen Bärten und lauernden Augen, mit kühn gebogenen Nasen und breiten Mäulern, mit schmutzigen Hemden und unsauberer Kleidung schleichen mit gebogenen, schlotternden Knien und spitzigen Ellbogen, den Hut tief in den Nacken zurückgedrückt, umher und fragen einander: „Nu, wie stehen sie heute?“ [445] Du wandelst staunend durch dieses Gewühl und fühlst einen kleinen unbehaglichen Schauer, wenn dich eine der unsauberen Gestalten im Vorübergehen anstreift. Du begreifst zwar, daß du dich unter den Kindern Israels befindest, aber zu welchem Zweck treiben sie sich hier unter freiem Himmel in einem Hühnerhof umher? Endlich wirst du eine Tafel, etwa wie ein Wirtshausschild anzusehen, gewahr; drauf steht mit goldenen Buchstaben deutlich zu lesen: „Börsenhalle“. Also in der Börsenhalle der Freien Stadt Frankfurt befindest du dich; du hörst heute ein sonderbares Gemunkel und Geflüster; die Leute gehen staunend umher, mehr mit Blicken als mit Worten fragend: „Ä Korrier es Wien? – Gott’s Wunder. Wer hat’n gekriecht?“ – „Ä Fremder, der Zwerner von Dessau.“ – „Wie? Kaner von unsere Lait? Nicht der Rothschild, der grauße Baron, nicht der Beetmann? Auch nicht der Mezler? Waas?“

„Was hat’r gebracht, der Korrier! Abraham, wie stehen se?“

„Wie werden se stehen! Wer kann’s wissen, solange der Zwerner aus Dessau nicht ist auf der Börsenhalle!“

„Levi! Hat er’s Oltemat’m angenommen, der Reis-Efendi? Hat er oder hat er nicht? Wie werden se stehen?“

„Ich hab’s genug, ’s is a Vertel auf Eins, und noch will keiner verkaufen, aus Schrekka vor die Korrier. Wär’ nur der Zwerner aus Dessau da! Auch der Rothschild bleibt so lang’ aus und der Simon von die neue Straße. Wirst sehen, ’s wird geben ä grauße Operation! Der Herr wird verstockt haben das Herz des Efendi, aß er hat nicht angenomme das Oltematum von dem Moskeviter?“

„Betmannische Obligationen, will man nicht kaufen, sind gefallen um Vertelpurzent!“

„Wie steht’s mit die Metalliques? Wie verkauft sie der Mezler? Wie stehen se, Abraham? Thu’ mer de Gefallen und sag’, die Metalliques, wie stehen se?“

„Aß ich der sag’, ich weiß nicht, wo mer steht der Kopf, weiß heut’ keiner, wer iß Koch oder Keller? Aß ich nicht kann riechen, wie se stehen, die Metalliques!“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 444–445. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_224.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)