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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Rebs, das alte, freundliche Kaninchen, das in alle Damen verliebt ist und alle bezaubert? Er war es, er kam herangeschwänzelt.

Er schnaufte und ächzte, als er heran war, und doch konnte er auch in dem Zustand höchster Erschöpfung, in welchem er zu sein schien, sein liebliches, süßes Lächeln nicht unterdrücken. Er warf sich ermattet neben Rebekka in einen Sessel, streckte die dünnen Beinchen, so mit zierlichen Spörnchen zum Spazierengehen beschlagen, heftete den matten, sterbenden Blick auf die schöne Jüdin und sprach: „Habe die Ehre, vergnügten Abend zu wünschen. Ich sterbe, mit mir geht’s aus!“

„Mein Jott! Herr Israels! Graf Rebs, was haben Sie doch? Ihre Wangen sind janz einjeschnurrt, Ihre Augen bleiben stehen. Er antwortet nicht! Herr Tipplomat, Eau de Cologne! Haben Sie keines bei sich in die Tasche?“

So rief das schöne Judenkind und beschäftigte sich um den Ohnmächtigen mit zarter Sorgfalt. Da ich kein Eau de Cologne bei mir trug, so begann sie etwas weniges verzweifeln zu wollen und verlangte von dem Dessauer, er solle ihm Tabaksrauch in die Nase blasen. Doch der Vater wußte besseren Rat: „Da geht einer“, rief er freudig, „da geht ein scharmanter junger Herr, ist in Kondition nicht weit von uns, der trägt beständig etzliches Kölner Wasser in seiner Rocktasche!“

Wie ein Pfeil schoß er auf den jungen Mann zu und war, als er ihm mit schrecklichen Gebärden das Eau de Cologne-Fläschchen abforderte, anzusehen wie Sir John Falstaff[1], als er die Krämer beraubt. Maria Farinas[2] Lebenstropfen brachten das arme Kaninchen bald wieder zu sich; er schlug die Augen auf, seufzete tief und lächelte. „Mich gehorsamst zu bedanken“, lispelte er mit zitternder Stimme, „für die gütigst geleistete Hilfe. War mir aber recht elend zu Mut; fast als hätte ich mehr Bier getrunken als dienlich.“

„Sind Sie oft solchen Zufällen unterworfen?“ fragte Rebekka, ihn etwas mißfällig betrachtend.

[437] „Mitnichten und im Gegenteil“, erwiderte er, indem er den Rücken zierlich wendete und drehte, mit den Schultern über die Brust herausfuhr und mannhaft mit den Spörnchen klirrte; „mitnichten, habe sonsten eine überaus starke Konstitution. Aber der dicke Pfarrer, der dicke Pfarrer …“

Die Juden schwiegen, und Rebekka schlug die Augen nieder wie immer, wenn von christlichen Pfarrern oder Zeremonien oder auch von Schweinfleisch in ihrer Nähe gesprochen wurde. Der Seufzer aber, dem die Erscheinung des Grafen etwas lästig schien, fragte ihn ziemlich boshaft, ob er etwa im Goldenen Brunnen gewesen, sich allda etwas betrunken und nachher mit dem ehrsamen Pastor Münster Streit und kirchlichen Skandal angefangen nach seiner Gewohnheit.

„Nach meiner Gewohnheit!“ rief das Kaninchen erschrocken. „Ich ein Unruhstifter oder Säufer, ich in dem Goldenen Brunnen, ich, der ich nur die allernobelsten Hotels, den Pariser und den Englischen Hof, den Weidenbusch, in welchem ich logiere, und den Weißen Schwanen mit meinem Besuch beehre? Nein! er ist mir begegnet der Pfarrer, und als er an mir vorbeiging, sah er mich mit schrecklichen Augen an und sagte: ‚Das ist auch so ein Stein des Anstoßes, auch so ein Mystiker.‘ – ‚Herr Pfarrer‘, sagte ich, ‚guten Abend, aber ein Mystiker bin ich nicht und will auch für keinen gelten, am wenigsten öffentlich, auf der Chaussee nach Bornheim.‘ – ‚So, Sie wollen keiner sein?‘ antwortete er, indem er näher auf mich zutrat, so daß sein Bauch und das Cachet seiner Uhr mir gerade auf die Brust zu sitzen kamen und mich heftig drückten; ‚wollen keiner sein? Warum kommen Sie denn nicht mehr ins Museum? Warum haben Sie an öffentlichen Wirtstafeln, im Pariser, Weiden und anderen Höfen geschimpft über mich, daß ich ein gewisses Gedicht von Langbein[3] in besagter Gesellschaft vorgelesen?‘ Es ist wahr, ich hatte mich ziemlich stark darüber ausgeprochen, aber nicht aus Mystizismus, sondern weil ich glaubte, es könne zarte Damenohren und weiche Gemüter unangenehm berühren, jenes Gedicht. Aber er nahm keine


  1. Shakespeare, „König Heinrich IV.“, 1. Teil, 2. Akt, 2. Szene.
  2. S. oben, S. 297.
  3. Aug. Friedr. Ernst Langbein (1757–1835), beliebter Dichter launiger, aber oft sehr derber Schwänke und Erzählungen.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 436–437. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_220.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)