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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Wir traten zu dem Zelt aus hölzernem Gitterwerk. Mein Begleiter errötete tiefer, je näher er trat; seine Wangen liefen vom Hellroten ins Dunkelrote, von da ins bläulich Schattierte an, und als wir vor dem Herrn Simon standen, war er anzusehen wie eine schöne dunkelrote Herzkirsche. Die Tante, „das neidische Gewölk“, erhob sich, und nun ward auch das Gestirn des Morgens sichtbar. Das Schickselchen, die Kalle, ich meine Rebekka, des Juden Tochter, war nicht übel. – Sie hatte, um mich wie Graf Rebs auszudrücken, viel Rasse, und ihre Augen konnten den Seufzer wohl bis aufs Herz durchbrennen, obgleich er zur Vorsicht und aus Eleganz drei Westen angethan hatte.

Nachdem mich mein Freund, der als solides Haus aus Dessau bei der Familie wohl gelitten schien, vorgestellt hatte, machte er sich an die Taube von Juda und überließ es mir, den alten Simon zu unterhalten. Mein Titel schien ihm einigen Respekt eingeflößt zu haben. „Haben da ein schönes Fach erwählt, Herr von Schmelzlein“, bemerkte er wohlgefällig lächelnd; „habe immer eine Inklination für die Diplomatik gehabt, aber die Verhältnisse wollten es nicht, daß ich ein Gesandter oder dergleichen wurde. Man weiß da gleich alles aus der ersten Hand; man kann viel komplizieren und dergleichen; was ließen sich da für Geschäfte machen!“

„Sie haben recht, mein Herr! Man lernt da die verwickeltsten Verhältnisse kennen. Allein aber schauens, das Ding hat auch seinen Haken. Man weiß oft eigentlich zu viel, es geht einem wie ein Rad im Kopf umher.“

Der Jude rückte näher. Mit einem Wiener Diplomaten, mochte er denken, nehme ich es auch noch auf. „Zeviel?“ sagte er, „ich für meinen Teil kann nie zeviel wissen. Was die Papiere betrifft, da kann ein Fingerzeig, ein halber, ein Viertelsgedanke oft mehr thun als eine lange Rede im Frankfurter Museum. Nu, Sie stehen solide in Wien. Ihr Staat ist ein gemachtes Haus trotz einem; was der Herr von M. auf dem Flageolett[1] vorpfeift, das singen die Staren nach.“

[431] „Die Staren vielleicht, aber nicht die Zaren!“

„Gut, très bien bon! gut gegeben, hi! hi! hi! à propos, wissen Sie Neues aus daher?“ Er rückte mir schon näher und wurde verfänglicher.

„Herr Simon“, sagte ich mit Artigkeit ausweichend, „Sie wissen, es gibt Fälle –“

„Wie!“ rief er erschrocken, „Gotts Wunder! Neue Fallissements, waas! Ist nicht die Krisis vom letzten Winter schon ein Strafgericht des Herrn gewesen? Waas?“

„Um Jottes willen, Papa!“ schrie Rebekka, indem sie den Arm des zärtlichen Seufzers zurückstieß und aufsprang, „Doch kein Unglück? Mein Jott! Doch nich hier in Frankfort?“

„Beruhigen Sie sich doch, gnädiges Fräulein, ich sprach mit Ihrem Herrn Papa über Politik und rechnete einige Fälle auf, und er hat mich holter nicht recht verstanden.“

Sie preßte mit einem zärtlichen, hinsterbenden Blick auf den erschrockenen Dessauer ihre Hand auf das Herz und atmete tief. „Nee! was ich erschrocken bin jeworden, da machen Sie sich keenen Bejriff von!“ lispelte sie. „Mein Herz pocht schrecklich! Na, erzählen Sie man weiter; was sachte der Graf? Sie hätten ins Parterre jestanden und wären melancholisch jewesen?“

Das Geflüster der Liebenden wurde leiser und leiser; die Blicke des Seufzers wurden feuriger, er zog, als „das Gewölke“ ein wenig im Garten auf und ab ging, die niedliche Hand der Jüdin an die Lippen und gestand ihr, wenn ich anders recht gehört habe, daß nächstens die Metalliques und die … um drei Prozente steigen werden.

„Herr von Schmälzlein!“ sagte der Alte, nachdem er einigen koscheren Wein zu sich genommen, „Sie haben mir da einen Schreck in den Leib gejagt, den ich nie vergesse. Fallen, Fälle, wie kann man auch nur dies Wort in Gesellschaft aussprechen!! Nun, Sie wollten sagen?“

„Es gibt Affairen“, fuhr ich fort, „wo der Diplomat schweigen muß. Über das Nähere meiner Sendung z. B. werden Sie selbst mich nicht befragen wollen; nur so viel kann ich Ihnen aber, mein Herr Simon, im engsten Vertrauen! –“


  1. Ein flötenartiges Blasinstrument.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 430–431. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_217.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)