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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Wir fuhren hinaus; der Seufzer schien ein ganz anderer Mensch geworden zu sein. Sein trübseliges Gesicht leuchtete freundlich vom Glanze der Hoffnung, sein Auge hob sich freier, um seine Stirne, seinen Mund war jede Melancholie verschwunden, sein großer runder Kopf steht nicht mehr zwischen den Schultern, er trägt ihn freier, erhabener, als wollte er sagen: „Seht ihr Frankfurter und Bornheimer, ich bin es, das Haus Zwerner und Komp. aus Dessau, nächstens eine bedeutende Person an der Börse und, wenn es gut geht, Bräutigam der schönen Rebekka Simon in der neuen Judenstraße.“

Aus dem Garten des goldenen Löwen in Bornheim tönten uns die zitternden Klänge von Harfen und Guitarren und das Geigen verstimmter Violinen entgegen; das Volk Gottes ließ sich vormusizieren im Freien, wie einst ihr König Saul, wenn er übler Laune war. Wir traten ein; da saßen sie, die Söhne und Töchter Abrahams, Isaaks und Jakobs, mit funkelnden Augen, kühn gebogenen Nasen, fein geschnittenen Gesichtern, wie aus Einer Form geprägt, da saßen sie vergnügt und fröhlich plaudernd und tranken Champagner aus saurem Wein, Zucker und Mineralwasser zubereitet, da saßen sie in malerischen Gruppen unter den Bäumen, und der Garten war anzuschauen, als wäre er das gelobte Land Kanaan, das der Prophet vom Berge gesehen und seinem Volk verheißen hatte. Wie sich doch die Zeiten ändern durch die Aufklärung und das Geld!

Es waren dies dieselben Menschen, die noch vor dreißig Jahren keinen Fuß auf den breiten Weg der Promenade setzen durften, sondern bescheiden den Nebenweg gingen; dieselben, die den Hut abziehen mußten, wenn man ihnen zurief: „Jude, sei artig, mach dein Kompliment!“ Dieselben, die von dem Bürgermeister und dem hohen Rat der freien Stadt Frankfurt jede Nacht eingepfercht wurden in ihr schmutziges Quartier. Und wie so ganz anders waren sie jetzt anzuschauen. Überladen mit Putz und köstlichen Steinen saßen die Frauen und Judenfräulein; die Männer, konnten sie auch nicht die spitzigen Ellbogen und die vorgebogenen Knie ihres Volkes verleugnen, suchten sie auch umsonst den ruhigen, soliden Anstand eines Kaufherrn von der Zeile oder der [429] Million zu kopieren, die Männer hatten sich sonntäglich und schön angethan, ließen schwere goldene Ketten über die Brust und den Magen herabhängen, streckten alle zehn Finger, mit blitzenden Solitärs besteckt, von sich, als wollten sie zu verstehen geben: „Ist das nicht was ganz Solides? Sind wir nicht das auserwählte Volk? Wer hat denn alles Geld, gemünzt und in Barren, als wir? Wem ist Gott und Welt, Kaiser und König schuldig, wem anders als uns?“

„Dort sitzt sie, die Taube von Juda, dort sitzt sie, die Gazelle des Morgens“, rief der Seufzer in poetischer Ekstase, und zerrte mich am Arm; „schauen Sie dort, unter dem Zelt von hölzernem Gitterwerk, der mit dem runden Leib, der langen Nase und den grauen Löckchen am Ohr ist der Vater, Herr Simon aus der neuen Judenstraße, die dicke Frau rechts mit den schwarzseidenen Locken und dem rotbraunen Gesicht ist die Tante; eine fatale Verwandtschaft, aber man weiß sich in Zukunft zu separieren nach und nach.“

„Aber wo ist denn die Gazelle, die Taube, ich sehe sie noch nicht –“

„Geduld, noch bedeckt die neidische Wolke, die Tante, das Gestirn des Aufgangs; fassen wir ein Herz, treten wir näher. Doch eben fällt mir bei, ich muß Sie vorstellen; wie nenne ich Sie, mein lieber Freund und Ratgeber?“

„Ich bin der k. k. Legationsrat Schmälzchen aus Wien“, gab ich ihm zur Antwort, „reise in Geschäften meines Hofes nach Mainz.“

„Ah“, rief er, nachdem er schon bei dem kaiserlich, königlich an den Hut gegriffen hatte, „Le–Legationsrat, wirklicher, und nicht bloß Titular ums liebe Geld? Das freut mich, Dero werte Bekanntschaft zu machen. Hätte es mir gleich vorstellen können, Sie haben einen gar tiefen Blick in die Staatsaffairen. Wahrhaftig, hätte es Ihnen gleich ansehen können; haben so etwas Diplomatisches, Kabinettsmäßiges in Dero Visage.“

„Bitte, bitte, keine Komplimente. Gehen wir zum Juden, ich hoffe Ihnen nützlich sein zu können.“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 428–429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_216.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)