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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Ei, verzeihen Sie, da muß ich denn doch bitten; an der Prise, die das Weib zu wenig bekömmt, stirbt sie nicht, wie man zu sagen pflegt, aber wenn ich einen solchen Kurier kommen lasse, so kann er durch seine falsche Nachricht ein Nachrichter der ganzen Börse werden; viele Häuser können fallieren, andere wanken und im Kredit verlieren, und das wäre dann meine Schuld!“

„So, mein Herr?“ sagte ich mit mitleidigem Lächeln zu der schwachen Seele, „so, Sie schämen sich nicht, die Moral, das Herrlichste, was man auf Erden hat, so zu verhunzen? Also wegen der Folgen wollen Sie nicht? Nicht vor dem Beginnen an sich, als einem unmoralischen, beben Sie zurück? Wer den Anfang einer That nicht scheut, darf auch ihr Ende nicht scheuen, ohne für eine kleine Seele zu gelten. Oder glauben Sie, eine Rebekka könne man dadurch verdienen, daß man im weißen Schwanen wohnt und seufzt, daß man zur Tafel geht und mit dem Kaninchen, dem Grafen Rebs, grollt?“

„Aber, mein Herr“, rief der Seufzer etwas pikiert, „ich weiß gar nicht, was Sie mir als einem ganz Fremden für eine Teilnahme erzeigen; ich weiß gar nicht, wie ich das nehmen soll?“

„Mein Herr, das haben Sie sich selbst zuzuschreiben; Sie haben mir Ihre Lage entdeckt und mich gleichsam um Rat gefragt, daher meine Antwort. Übrigens bin ich ein Mann, der reist, um überall das Treffliche und Erhabene kennen zu lernen. In Ihnen glaubte ich gleich auf den ersten Anblick solches gefunden zu haben; –“

„Bitte recht sehr, eine so ganz gewöhnliche Physiognomie wie die meine –“

„Das können Sie nicht so beurteilen wie ein anderer; auf Ihrer Stirne thront etwas Freies, Mutiges, um Ihren Mund weht ein anziehender Geist –“

„Finden Sie das wirklich“, rief er, indem er lächelnd meine Hand faßte und verstohlen nach dem Spiegel blickte; „es ist wahr, man hat mir schon dergleichen gesagt, und in Stuttgart hat man mich sogar versichert, ich sei dem berühmten Dannecker[1] auf der [427] Straße aufgefallen, und er sei eigens deswegen einigemal in den König von England gekommen, um von mir etwas für seinen Johannes abzusehen.“

„Nun sehen Sie, wie muß es nun einen Mann, wie ich bin, überraschen, so wenig Mut, so wenig Entschluß hinter dieser freien Stirne, diesem mutigen Auge zu finden!“

„Ach, Sie nehmen es auch zu strenge; ich habe ja Ihren Vorschlag durchaus nicht verworfen, nur einiges Bedenken, einige kleine Zweifel stiegen in mir auf, und – nun Sie haben wahrlich nicht unrecht, ich fühle einen gewissen Mut, eine gewisse Freiheit in mir, es ist ein gewisses Etwas, ja – so gut es ein anderer thun kann, will ich es auch versuchen. Es sei, wie Sie sagten, ich will es daranrücken und einen Kurier kommen lassen; wir wollen die Metalliques steigern!“


*  *  *


3) Ein Schabbes in Bornheim.

Der einzige Zweifel, der den seufzenden Dessauer noch quälte, war die Furcht, den Vater seiner Geliebten in bedeutenden Verlust zu stürzen, wenn er seine Operation nach meinem Plane einrichte. Doch auch dafür wußte ich ein gutes, sehr einfaches Mittel. Er mußte den Herrn Simon in der neuen Judenstraße auf seine Seite bringen, mußte ihm bedeutende Winke von der nahenden Krisis geben; entweder nahm dann der Jude an dem ganzen Unternehmen unbewußt teil und gewann zugleich mit dem Dessauer, oder er war wenigstens gewarnt und mußte einige Achtung vor einem Mann bekommen, der so genau die politischen Wendungen zu berechnen wußte, der seine Kombinationen so geschickt zu machen verstand.

Dem Kaufmann leuchtete dies ein. Er kam von selbst auf den Gedanken, noch an diesem Tage mit dem alten Simon zu sprechen, und lud mich ein, mit ihm nach Bornheim zu fahren, wo der Schabbes heute die noble Welt des alten Judenquartiers, der neuen Judenstraße, überhaupt alle Stämme Israels versammelt habe.


  1. Joh. Heinr. v. Dannecker (1758–1841) war seit 1780 Hofbildhauer in Stuttgart, später Professor an der Karls-Akademie.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 426–427. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_215.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)