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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Zu was soll diese Komödie dienen, Herr von S.?“ sprach der Kapitän gereizt. „Ich hoffe, Sie sind nicht gekommen, mir in meinem Zimmer Sottisen zu sagen.“

„Ich wollte Sie mit Herrn von Stobelberg, der Ihre Familie kennt, besuchen; da ließ sich dieser fromme Mann, der gehört hat, daß Sie übertreten wollen, nicht abhalten, uns zu begleiten.“

„Große Ehre für mich, geben Sie sich aber weiter keine Mühe, denn –“

„Höret, höret, wie er den Herrn lästert, in dessen Namen ich komme“, schrie der Pietist; „der Antichrist krümmet sich in ihm wie ein Wurm, und der Teufel sitzt ihm auf der Zunge. O, warum habt Ihr Euch blenden lassen von Weltehre? Was sagt derselbe Sirach? ‚Laß dich nicht bewegen von dem Gottlosen in seinen großen Ehren; denn du weißt nicht, wie es ein Ende nehmen wird. – Wisse, daß du unter den Stricken wandelst und gehest auf eitel hohen Spitzen!‘“

„Sie kennen meine Familie, Herr von Stobelberg? Sind Sie vielleicht selbst ein Landsmann aus Mecklenburg?“

„Nein, aber ich kam viel in Berührung mit Ihrer Familie und bin mit einigen Gliedern derselben sehr nahe liiert. So zum Beispiel mit Ihrem Onkel F., mit Ihrer Tante W., mit Ihrem Schwager Z.“

„Wie? Der Satan hat ihm die Ohren zugeleimt“, rief der fromme Protestant, als sein abtrünniger Bruder ihn völlig ignorierte. „Auf, ihr Brüder, ihr Streiter des Herrn, lasset uns ein geistliches Lied singen, vielleicht hilft es.“ Er drückte die Augen zu und fing an, mit näselnder, zitternder Stimme zu singen:

„Herr, schütz’ uns vor dem Antichrist,
Und laß uns doch nicht fallen;
Es streckt der Papst mit Hinterlist
Nach uns die langen Krallen;
Und laß dich erbitten,
Vor den Jesuiten
Und den argen Missionaren
Wollest gnädig uns bewahren.

     [391] Sie sind des Teufels Knechte all’,
Nur wir sind fromme Seelen;
Wir kommen in des Himmels Stall,
Uns kann es gar nicht fehlen;
Denn nach kurzem Schlafe
Ziehn wir frommen Schafe
In den Pferch für uns bereitet,
Wo der Hirt die Schäflein weidet.

     Dort scheidet er die Böcke aus –“

Man kann eben nicht sagen, daß der Fromme wie eine Nachtigall sang, aber komisch genug war es anzusehen, wie er vom Geist getrieben dazu agierte; auf den Wangen des Kapitäns wechselte Scham und Zorn, und man war ungewiß, ob er mehr über die Unverschämtheit dieses Proselytenmachers[1] staunte, oder mehr über den Inhalt der frommen Hymne erbost sei. Als der Pietist nach einem tiefen Seufzer den dritten Vers anhub, ging die Thüre auf, und die hohe, majestätische Gestalt des Kardinals Rocco trat ein. Er war angethan mit einem weißen, faltenreichen Gewand, und der Purpur, der über seine Schultern herabfloß, gab ihm etwas Erhabenes, Fürstliches. Er übersah uns mit gebietendem Blick, und die Rechte, die er ausstreckte, mochte vielleicht den ehrwürdigen Kuß eines Gläubigen erwarten.

Der Kapitän war in sichtbarer Verlegenheit; er fühlte, daß der Kardinal uns den Protestantismus sogleich anriechen, daß es ihn erzürnen werde, seinen Katechumenen in so schlechter Gesellschaft zu sehen. Er nannte der Eminenz unsere Namen, doch als er Herrn v. S. erblickte, trat er erschrocken einen Schritt zurück und flüsterte dem Frater Piccolo in der violetten Kutte zu: „Das ist wohl der Teufel, den du im Traume gesehen?“

Piccolo antwortete mit drei Kreuzen, die er ängstlich auf seinen Leib zeichnete, und der Kardinal fing an, leise einige Stellen aus dem Exorzismus[2] zu beten. Während dieser Szene hatte sich der fromme Kaufmann, dem das Wort auf der Lippe stehen geblieben


  1. Griech.; einer, der andre für seinen Glauben zu bekehren sucht.
  2. Griech.; ein Buch, Beschwörungsformeln zur Austreibung böser Geister und des Teufels enthaltend.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 390–391. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_197.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)