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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

bei ihr bald zum Durchbruch kommen. Und da erzählte sie mir von einem Mann, den der Satan und der Antichrist in ihren Schlingen gefangen haben, und bat mich, ob ich nicht lösen könne diese Bande kraft des Geistes, der in mir wohnet. Und darum bin ich hier.“

Während der fromme Mann die letzten Worte sprach, kam der Berliner mit dem Fräulein. Jener stellte mich vor, und sie fragte errötend, ob ich mit der Familie des Kapitäns West in Mecklenburg bekannt sei. Ich bejahte es; ich hatte mit mehreren dieser Leute zu thun gehabt und gab ihr einige Details an, die sie zu befriedigen schienen.

„Der Kapitän ist auf dem Sprung, einen sehr thörichten Schritt zu thun, der ihn gewiß nicht glücklich machen kann, S. hat Ihnen wohl schon davon gesagt, und es kömmt jetzt darauf an, ihm das Mißliche eines solchen Schrittes auch von seiten seiner Familie darzuthun.“

„Mit Vergnügen; dieser fromme Mann wird uns begleiten; er ist in geistlichen Kämpfen erfahrner als ich; ich hoffe, er wird sehr nützlich sein können.“

„Es ist mein Beruf“, antwortete der Pietist, die Augen greulich verdrehend, „es ist mein Beruf, zu kämpfen, solange es Tag ist. Ich will setzen meinen Fuß auf den Kopf der Schlange und will ihr den Kopf zertreten wie einer Kröte; soeben ist der Geist in mich gefahren. Ich fühle mich wacker wie ein gewappneter Streiter; lieben Brüder, lasset uns nicht lange zaudern, denn die Stunde ist gekommen; Sela!“[1]

„Gehen wir!“ sagte der Berliner; „sein Sie versichert, Luise, daß Freund Stobelberg und ich alles thun werden, was zu Ihrer Beruhigung dienen kann. Fassen Sie sich, sehen Sie mutig, heiter in die Zukunft, die Zeit bringt Rosen.“

Das schöne bleiche Mädchen antwortete durch ein Lächeln, das sie einem wunden Herzen mühsam abgezwungen hatte. Wir gingen, und als ich mich in der Thüre umwandte, sah ich sie heftig weinen.

[389] Wir drei gingen ziemlich einsilbig über die Straße, der Pietist, vom Geiste befallen, murmelte unverständliche Worte vor sich hin und verzog sein Gesicht, rollte seine Augen wie ein Hierophant[2]. Der Berliner schien an dem guten Erfolg unseres Beginnens zu zweifeln und ging sinnend neben mir her, ich selbst war von dem Anblick der stillen Trauer jenes Mädchens, ich möchte sagen, beinahe gerührt; ich dachte nach, wie man es möglich machen könnte, sie der Schwärmerei zu entreißen, sie dem Leben, der Freude wiederzugeben, denn so gerne ich ihr den Himmel und alles Gute wünschte, so schien sie mir doch zu jung und schön, als daß sie jetzt schon auf eine etwas langweilige Seligkeit spekulieren sollte. Durch den Berliner schien ich dies am besten erreichen zu können; besser vielleicht noch durch Kapitän West, der mir ohnedies verfallen war, doch zweifelte ich, ob man ihn noch von der Spanierin werde losmachen können.

Auf der Hausflur des Kapitäns ließ uns der Pietist vorangehen, weil er hier beten und unsern Ein- und Ausgang segnen wolle. Doch, o Wunder! als wir uns umsahen, nahm er nach jedem Stoßseufzer einen Schluck aus einem Fläschchen, das seiner Farbe nach einen guten italienischen Likör enthalten mußte. Ha! jetzt muß der Geist erst recht über ihn kommen, dachte ich, jetzt kann es nicht fehlen, er muß mit großer Begeisterung sprechen.

Der Kapitän empfing uns mit einer etwas finsteren Stirne. Der Berliner stellte uns ihm vor, und sogleich begann der Pietist, vom Geist getrieben, seinen Sermon.

Er stellte sich vor den Kapitän hin, schlug die Augen zum Himmel und sprach: „Bruder! was haben meine Ohren von dir vernommen? So ganz hat dich der Teufel in seinen Klauen, daß du dich dem Antichrist ergeben willst? Daß du absagen willst der heiligen, christlichen Kirche, der Gemeinschaft der Heiligen? Sela. Aber da sieht man es deutlich. Wie heißt es Sirach am neunten im dritten Vers? He? ‚Fliehe die Buhlerin, daß du nicht in ihre Stricke fallest.‘“


  1. Hebräisches Wort, das besonders in den Psalmen vorkommt, bedeutet eigentlich „Pause“, dann im modernen Sinn s. v. w. unser „Punktum!“
  2. Griech., Oberpriester; in ironischer Beziehung bedeutet es einen, der sich ein geistliches Ansehen zu geben sucht.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 388–389. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_196.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)