Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 193.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

doch nach moralischen wie nach physischen Kräften ein Körper, welcher abwärts gleitet, immer schneller fällt. Er war falsch, denn er spielte zwei Rollen; er war leichtsinnig, denn er vergaß sich alle Augenblicke; er war eifersüchtig, obgleich er es selbst mit zwei Frauen hielt; er war schnell zum Zorn reizbar, als deutscher Kapitän liebte er wahrscheinlich auch das Est, Est, Est[1], Eigenschaften, die nicht lange auf einer Stufe lassen. Ein anderer an seiner Stelle wäre vielleicht aus Eifersucht und Zorn schon längst ein Totschläger geworden, ein zweiter wäre, leichtsinnig wie er, all diesem Jammer entflohen, hätte die Donna Ines hier und Fräulein Luise dort sitzen lassen und vielleicht an einem andern Ort eine andere gefreit; ein dritter hätte vielleicht der Donna Gift beigebracht, um die schöne Sächsin zu besitzen oder aus Verzweiflung die letztere erdolcht.

Aber wie langweilig dünkte es mir, daß das Fräulein noch in demselben Zustande war, daß die beiden Anbeter noch nicht in Streit geraten waren, daß das Ende von diesen Geschichten ein Übertritt zur römischen Kirche, eine Hochzeit der Donna Ines und vielleicht eine zweite, Luisens mit dem Berliner, werden sollte?

Denn eben dieser ehrliche Berliner! Er stand zwar in etwas entfernten Verhältnissen zu mir, doch wußte ich, wenn ich ihm das Ziel seines heimlichen Strebens, das Fräulein, recht lockend, recht reizend vorstellte, wenn ich ihren Besitz ihm von ferne möglich zeige, so machte er Riesenschritte abwärts, denn seine Anlagen waren gut. Ich beschloß daher, mir ein kleines Vergnügen zu machen und die Leutchen zu hetzen.

Während diese Gedanken flüchtig in mir aufstiegen, wurde dem Herrn von S. ein Brief gebracht. Er sah die Aufschrift an und errötete, er riß das Siegel auf, er las, und sein Auge wurde immer glänzender, seine Stimme heiterer. „Der Engel!“ rief er aus, „sie will mich dennoch sehen! Wie glücklich macht sie mich! Lesen Sie, Freund“, sagte er, indem er mir den Brief reichte; „müssen solche Zeilen nicht beglücken?“

[383] Ich las:

 „Mein treuer Freund!

Mein Herz verlangt darnach, Sie zu sprechen. Ich wollte Sie nicht mehr sehen, nicht mehr sprechen, bis Sie mir gute Nachrichten zu bringen hätten; Sie selbst sind es eigentlich, der diesen Bann aussprach. Doch heben Sie ihn auf, Sie wissen, wie tröstlich es mir ist, mit Ihnen sprechen zu können. Der Fromme ist wieder hier; er verspricht sich das Beste von West. Ach! daß er ihn zurückbrächte von seinem Abwege, nicht zu mir, meine Augen dürfen ihn nicht mehr sehen, nur zurück von dieser Schmach, die ich nicht ertragen kann.

L. v. P.

N. S. Wissen Sie in Rom keinen Deutschen, der in Mecklenburg bekannt wäre? West hat dort Verwandte, die vielleicht in der Sache etwas thun könnten.“

„Ich kann mir denken, daß dieses schöne Vertrauen Sie erfreuen muß“, sagte ich, „doch einiges ist mir nicht recht klar in diesem Brief, das Sie mir übrigens aufklären werden. Wegen der Verwandten in Mecklenburg kann sich übrigens das Fräulein an niemand besser wenden als an mich, denn ich war mehrere Jahre dort und bin beinahe in allen Familien genau bekannt.“

Der junge Mann war entzückt, dem Fräulein so schnell dienen zu können. „Das ist trefflich!“ rief er, „und Sie begleiten mich wohl jetzt eben zu ihr? Ich erzähle Ihnen unterwegs noch einiges, was Ihnen die Verhältnisse klarer machen wird.“

Ich sagte mit Freuden zu, wir gingen.

„In Berlin“, erzählte er, „hielt ich es nur zwei Monate aus; ich hatte niemand hier in Rom, der mir über das unglückliche Geschöpf hätte Nachricht geben können, und so lebte ich in einem Zustand, der beinahe an Verzweiflung grenzt; nur einmal schrieb mir der sächsische Gesandte: Der Papst habe sich jetzt öffentlich für den Kapitän West erklärt, man spreche davon, daß der Preis dieser Gnade, der Übertritt des Kapitäns zur römischen Kirche sein solle. In demselben Brief erwähnte er mit Bedauern, daß die junge Dame, die uns alle so sehr angezogen habe, die mich


  1. Name eines Muskateller Weines, der bei Montefiascone in Italien wächst, besungen in dem bekannten Gedicht von Wilhelm Müller.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 382–383. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_193.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)