Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 187.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Herr von S… schien mich liebgewonnen zu haben, denn er empfing mich mit Herzlichkeit und einem Wohlwollen, das selbst den Teufel erfreut, wenn er auch schon an dergleichen gewöhnt ist. Ich hatte mir vorgenommen, von meiner gestrigen Fahrt und den Wunderdingen, die ich gehört hatte, noch nichts zu erwähnen, um den Verlauf seiner Geschichte zuvor desto ungestörter zu vernehmen.

„Von allem Unglück, das die Erde trägt“, fuhr er zu erzählen fort, „scheint mir keines größer, schmerzlicher und rührender als jener stille, tiefe Gram eines Mädchens, das unglücklich liebt, oder dessen zartes, glühendes Herz von einem Elenden zur Liebe hingerissen und dann betrogen wird. Der Mann hat Kraft, seinen Gram zu unterdrücken, den Verrat seiner Liebe zu rächen, die gepreßte Brust dem Freunde zu öffnen; das Leben bietet ihm tausend Wege, in Mühe und Arbeit, in weiter Ferne Vergessenheit zu erringen. Aber das Weib? – Der häusliche Kreis ist so enge, so leer. Jene täglich wiederkehrende Ordnung, jene stille Beschäftigung mit tausend kleinen Dingen, der sie sich in der Zeit glücklicher Liebe fröhlich, beinahe unbewußt hingab, wie drückend wird sie, wenn sich an jeden Gegenstand die Erinnerung an ein verlorenes Glück heftet. Wie träge schleicht der Kreislauf der Stunden, wenn nicht mehr die süßen Träume der Zukunft, nicht der Zauber der Hoffnung, nicht die Seligkeit der Erwartung den Minuten Flügel gibt, wenn nicht mehr das von glücklicher Liebe pochende Herz den Schlag der Glocke übertönt!

Doch, wozu Sie auf ein Unglück vorbereiten, das Sie nur zu bald erfahren werden? Hören Sie weiter: Mein Wunsch, Luise von Palden im Hause des Gesandten zu sehen, gelang. Schon nach einigen Tagen wurde sie durch seine Schwester dort eingeführt. Sie errötete, als sie mich zum erstenmal dort sah, doch sie schien mich wie einen alten Bekannten dort zu nehmen, es schien sie zu freuen, unter so vielen fremden Männern einen zu wissen, der ihr näher stand. Denn so war es; sei es, daß die Erinnerung an unser sonderbares Abenteuer mich aus einem Fremden zum Bekannten machte, sei es, daß sie gerne zu mir sprach, weil ich die Züge ihres Freundes trug, sie unterschied mich [371] auffallend von allen übrigen Männern, die dieser seltenen Erscheinung huldigten. Sie lächeln, Freund? Ich errate Ihre Gedanken –“

„Ich finde, Sie sind zu bescheiden; könnte es nicht auch Ihre eigene Persönlichkeit gewesen sein, was das Fräulein anzog?“

„Nein, denken Sie nicht so von diesem himmlischen Geschöpf; ich gestehe, ich war ein Thor, ich machte mir Hoffnung, sie für mich gewinnen zu können; ja, Freund, ich sagte ihr sogar, was ich fürchte –“

„Und Sie wurden nicht erhört? Das treue, ehrliche Kind! und ihr Kapitän lag vielleicht gerade in den Armen einer andern!“

Der Berliner stutzte. „Wie? was wissen Sie?“ fragte er betroffen; „wer hat Ihnen gesagt, daß West noch eine andere liebe?“

„Nun, Sie selbst haben mich genug darauf vorbereitet“, erwiderte ich; „sagten Sie nicht, daß jener das Mädchen betrog?“

„Sie haben recht; – nun, ich wurde lächelnd abgewiesen, abgewiesen auf eine Art, die mich dennoch glücklich, unaussprechlich glücklich machte. Sie war keinen Augenblick ungehalten, sie gestand mir, daß ich ihr als Freund willkommen sei, daß ihr Herz keinem andern mehr gehören könne. Sie sagte mir auch manches von ihren Verhältnissen, was ganz mit dem übereinstimmt, was uns die Schwester des Gesandten erzählte, sie gestand, daß sie nur darum nach Rom gezogen sei, weil den Kapitän seine Verhältnisse hieher riefen; sie gestand, daß er einen Rechtsstreit wegen einer Erbschaft hier habe, daß er, sobald die Sache entschieden sei, vielleicht schon in wenigen Wochen, sie zum Altar führen werde.

Etwa eine Woche nach diesem aufrichtigen Geständnis rief mich eines Abends der Gesandte aus dem Salon, in welchem die Gesellschaft versammelt war, zu sich. Es war nichts Seltenes, daß er sich mir in Geschäftssachen mitteilte, weil ich sein Vertrauen auf eine ehrenvolle Art besaß; doch die Zeit war mir auffallend, und es mußte etwas von Wichtigkeit sein, weswegen er mich aus dem Kreis der Damen aufstörte.

‚Kennen Sie einen gewissen Kapitän West?‘ fragte er, indem er mich mit forschenden Blicken ansah.

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 370–371. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_187.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)