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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Der heilige Mann stieg aus; mit Ehrfurcht empfingen die Schiffer seinen Segen, den er mit einer Würde, einem Anstand, würdig eines Fürsten der Kirche, erteilte. Donna Ines folgte. Ich bewunderte, während sie über das Brett ging, ihren feinen, zierlichen Wuchs, die Harmonien in ihren Bewegungen und die Glut, die aus ihren Augen strahlte und den Abend schwül zu machen schien. Sie reichte dem geliebten Ketzer ihre schöne Hand mit so besorgter Zärtlichkeit, mit einem so bedeutungsvollen Lächeln, daß ich im Zweifel war, ob ich mehr seine transmontanische Kälte belächeln oder den Mut bewundern sollte, mit welchem er den geistlichen Lockungen dieser in Liebe aufgelösten Circe widerstand. – Am Ufer hielt ein schöner Wagen; der dienende Bruder Piccolo, welchem ich im Traum, in Rom spazieren gehend, erschienen war, stand am Schlag und erwartete Seine Eminenz. Es kostete einige Zeit, bis dieser sein Gewand zu gehöriger Wirkung drapiert hatte, dann erst folgte der Frater Piccolo; der Ketzer und seine Dame schlugen einen Fußpfad ein und gingen der Stadt zu.

„Wer sind diese?“ fragte ich den Schiffer.

„Kennt Ihr den heiligen Mann, den Kardinal Rocco nicht? O, es ist einer der besten Füße des heiligen Stuhles! Alle Abende fährt er in meiner Barke auf dem Fluß.“

„Und die Dame?“

„Ha! das ist eine gute Christin“, antwortete er mit Feuer. „Sie fährt beinahe immer mit dem Kardinal, zuweilen allein mit ihm, zuweilen mit dem Mann, den Ihr gesehen. Dem traue ich nicht ganz, es ist entweder ein Deutscher oder ein Engländer, und die sind doch Kinder des Teufels.“

„So? da sagt Ihr mir etwas Neues, und dieser Mann, ist er ihr Gemahl?“

„Bewahre uns die heilige Jungfrau! Ihr Gemahl? Wo denkt Ihr hin? Da würde er nicht so zärtlich mit ihr spazieren fahren. Ich denke, es ist ihr Geliebter.“

„So ist es“, sagte einer der griechischen Kaufleute, „die Dame wohnt nicht weit von mir. Sie lebt allein mit ihren Kindern. Sie sieht niemand bei sich als einige fromme Geistliche und [369] diesen jungen Mann; es ist ihr Geliebter. Aber sie führen ein Hundeleben zusammen. Man hört sie oft beide weinen und zanken und schreien. Der junge Mann flucht und donnert und jammert mit schrecklicher Stimme, und die Donna weint und klagt, und die Kinder erheben ein Zetergeschrei, daß die Nachbarn zusammenlaufen. Dann stürzt oft der junge Mann verzweifelnd aus dem Haus und will fliehen, aber die Donna setzt ihm mit fliegenden Haaren nach, und die Kinder laufen heulend hintendrein; sie faßt ihn unter der Thüre am Gewand, sie achtet nicht auf die Menschen, die umherstehen; sie zieht ihn zurück ins Haus und besänftigt ihn, und dann ist es oft auf viele Tage stille, bis das Wetter von neuem losbricht.“

„Heilige Jungfrau“, rief der Schiffer, „und hat er sie noch nie totgestochen im Zorn?“

„Wie Ihr sehet, nein!“ erwiderte der Grieche; „aber krank ist sie schon oft geworden, wenn er so greulich raste; dann lief er schnell zu drei, vier Doktoren, um sie wieder ins Leben zurückzurufen. Es sind doch gute Seelen, diese Deutschen!“

So sprachen diese Männer, und ich ging von ihnen in tiefen Gedanken über das, was ich gehört und gesehen hatte. Jenes Wort des jungen Berliners fiel mir wieder bei, der den Kardinal Rocco beschuldigte, ein schönes, gutes Herz gebrochen zu haben. Welches andere Herz konnte dies sein, als Luisens? Ich glaubte deutlich zu sehen, daß der Priester den Kapitän der Geliebten entzogen, indem er sie verleumdet, daß er ihn in die Fesseln dieser Donna Ines geschmiedet habe, um ihn für die Kirche zu gewinnen. Aber wie war alles dies geschehen? Wie hatte er diesen Mann aus den Armen seines Mädchens ziehen, von einem Herzen hinwegreißen können, das ihn mit so heißer Glut umfing; sollten jene Beschuldigungen von Untreue wahr sein, die der Kardinal dem Kapitän einflüsterte? Hatte sie wirklich den jungen Mann, der ihm so ähnlich sah, vorgezogen? Doch ich wußte ja, wo ich mir Gewißheit verschaffen konnte; ich beschloß, bei guter Zeit am nächsten Morgen den Berliner wieder aufzusuchen.


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Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 368–369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_186.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)