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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Abend tragen mußte, zeigten, daß sie mit den ersten Dreißig die Lust zum Leben noch nicht verloren habe. An ihrer Seite glaubte ich auf den ersten, flüchtigen Anblick Otto von S. zu erkennen. Doch die Züge des Mannes im Zelte waren düsterer, sein Auge blickte nicht so offen und frei wie das des Berliners, – ich war keinen Augenblick im Zweifel, es mußte sein verkörperter Doppelgänger, … sein. Aber wie! Die Dame war nicht Luise von Palden; durfte dieser Mann so traulich neben einer andern sitzen, ohne dieselbe Schuld wirklich zu tragen, die er der Geliebten aufbürden wollte?

„Gilt dir denn meine Liebe, meine Zärtlichkeit gar nichts?“ hörte ich die Dame sagen; „nichts meine Aufopferung, nichts meine Leiden, nichts meine Schande, der ich mich um deinetwillen aussetzte? Ein Wort, ein einziges Wort kann uns glücklich machen. Du sagst immer morgen, morgen! Es ist jetzt Abend, warum willst du morgen doch wieder nicht?“

„Mein Sohn!“ sprach der Kardinal; „ich will nichts davon sagen, daß Euer langes Zögern, Eure fortwährende Weigerung für unsere heilige Kirche Beleidigung ist. Ich weiß zwar wohl, nicht Ihr seid es, der diese Zögerungen verschuldet; der Teufel, der leibhaftige Satan spricht aus Euch; es ist das letzte Zucken Eurer ketzerischen Irrtümer, was Euch die Wahrheit nicht sehen läßt; aber beim heiligen Kreuz, den Nägeln und der heiligen Erde beschwöre ich Euch, folget mir; lasset Euch aufnehmen in den heiligen Schoß der Kirche, zur Verherrlichung Gottes.“

„Ha!“ dachte ich, „den haben sie gerade recht in den Krallen. Ein schönes Weib, ein Kardinal Rocco und ein paar Gewissensbisse, wie der Herr im Zelte zu haben schien. – Da kann es nicht fehlen!“ – Er seufzte, er blickte bald die Dame, bald den Priester mit unmutigen Blicken an. „Ich will ja alles thun, ins Teufels Namen, alles thun“, sagte er, „mein Leben ist ohnedies schon verschuldet und vergiftet, aber wozu diese sonderbare Prozedur? Warum soll ich vor der Welt zum Narren werden, um die Ehre von Donna Ines wiederherzustellen?“

„Mein Sohn, mein Sohn! wie frevelt Ihr! zum Narren werden, sagt Ihr? O! Ihr verstockter Ketzer, ihr alle seid von eurer [363] Taufe an, wo der Satan zu Gevatter steht, Renegaten, Abtrünnige! Es ist also nur eine Rückkehr; kein Übertritt, keine Ableugnung eines früheren Glaubens. Ihr hattet ja vorher keinen Glauben; Ihr werdet doch nicht die Ketzerei so nennen wollen, die der Erzketzer in Wittenberg aus den Fetzen, die er dem Heiligtum gestohlen, zusammenstückelte?“

„Lasset mich, Eminenz! es ist einmal gegen meine Überzeugung; ich müßte mich ja vor ganz Deutschland schämen.“

„O verstockter Ketzer! Schämen, sagt Ihr? hat sich der liebe Mann, der Herr von Haller[1], auch geschämt? Schämen! wie ein Heiliger würdet Ihr dastehen, braucht sich ein Heiliger zu schämen? Hat sich der treffliche Hohenlohe[2] geschämt, umgeben von Ketzern, seine Wunder zu verrichten? Es sei gegen Eure Überzeugung, saget Ihr? da sieht man wieder den Deutschen, nicht wahr Donna Ines, den ehrlichen Deutschen! Zu was denn immer Überzeugung? Das ist ja gerade das Wunderbare am Glauben, daß er von selbst wirkt ohne Überzeugung. Gesetzt, Ihr wäret krank, mein lieber Freund; man schickt Euch den ersten Arzt der Christenheit; Ihr seid nicht überzeugt, daß er der alleinige, wahre Arzt ist, aber Ihr laßt Euch gefallen, seine Arzneien einzunehmen, und siehe, sie wirken auf Euren Körper ohne Überzeugung gerade wie unser Glaube auf die Seele.“

„Otto!“ sprach Dame Ines mit schmelzenden Tönen, „teurer Otto! Siehe, wenn mich der heilige Mann hier nicht absolviert und beruhigt hätte, ich müßte ja schon längst verzweifelt sein, einen Ketzer so innig zu lieben! Wie leicht wird es dir gemacht, einer der Unsrigen zu sein, und dann ein Weib auf ewig glücklich zu machen, das dir alles opferte! Und bedenke die schöne


  1. Karl Ludw. v. Haller (1768–1854), Enkel des berühmten Arztes und Dichters Albrechts v. H., war Professor in Bern. Er trat 1820 zum Katholizismus über, wurde deshalb seiner Stellen entsetzt und ging nach Paris. Nach der Julirevolution kehrte er zurück und gehörte zu den Häuptern der ultramontanen Partei.
  2. Alex. Leop. Frz. Emmerich, Prinz von Hohenlohe-Waldenburg-Schillingsfürst (1794–1849) wurde für die Kirche erzogen und 1815 zum Priester geweiht, ging nach Rom, wo er viel mit Jesuiten verkehrte, und war seit 1817 in München und Bamberg für die Verherrlichung der katholischen Kirche thätig. Seit 1821 trat er selbst als Wunderthäter auf und wurde später in Ungarn Großprobst und Titularbischof.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 362–363. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_183.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)