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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

verwechselt, Sie gefielen sich in diesem Quiproquo und versetzten sich unwillkürlich so in die Stelle des Liebhabers, daß Sie das Mädchen sogar liebten –“

„Und wie liebe ich sie!“ rief er bewegt.

„Sie suchten die Dame lange vergeblich in Rom, der Zufall führte endlich das schöne Kind im Karneval als Maske an Ihre Seite. Es ist schon dunkel, sie glaubt in Ihnen den Freund zu finden; Sie, lieber Freund, benützen die Gelegenheit noch einmal, diesen Scherz, der Ihnen so angenehm ist, fortzuführen. Sie bringen die Dame auf eine Loge, um das Pferderennen anzusehen. Da erscheint auf einmal der rechte Liebhaber, und Sie – erblicken sich. Bis hieher hörte ich damals. Sie können sich denken, wie begierig ich bin, zu hören, wie es Ihnen erging.“

„Ich gestehe“, fuhr Herr v. S. fort, „mir selbst fiel die Ähnlichkeit dieses Mannes mit meinen Zügen, meiner Gestalt, selbst meiner Kleidung überraschend auf. Das letztere hatte wohl die Mode verschuldet, die damals alle junge Welt zwang, sich schwarz zu kleiden. Doch auch für die große Ähnlichkeit unserer Züge, so auffallend sie ist, hat man Beispiele. Sie erinnern sich vielleicht des Falles, der in Frankreich vorkam. Zwei Franzosen trafen in Amerika zusammen. Ihre Ähnlichkeit war so groß, daß man sie gewöhnlich miteinander verwechselte, der eine starb, der andere, ein armer Teufel, wußte sich seine Papiere zu verschaffen, reiste nach Frankreich zurück und lebte mit der Frau des Verstorbenen noch lange Jahre, bis der Betrug an den Tag kam.[AU 1]

Der Herr und die Dame schienen nicht weniger überrascht als ich; die letztere errötete, sie gedachte vielleicht jenes Kusses, und es wurde ihr wohl mit einemmal klar, daß es schon an jenem [351] Abend nicht ihr Otto gewesen sei, gegen den sie sich so zärtlich bewiesen. Der Herr mit meinen Gesichtszügen fragte mich in etwas barschem Ton in schlechtem Französisch, wie ich dazu komme, diese Komödie zu spielen. Ich nahm, nicht aus Furcht vor seinem rollenden Auge, sondern im Gefühl, ein Unrecht, vielleicht eine Unschicklichkeit wieder gutmachen zu müssen, alle Artigkeit, die ich in der Welt gelernt hatte, zusammen und bat die Dame, mir ‚einen Scherz zu vergeben, zu dem sie mich selbst verleitet habe‘. ‚Sie selbst?‘ rief bei diesen Worten jener Mann, und seine Züge verzogen sich immer mehr zum Zorn, ‚sie selbst? Es ist ein abgekartetes Spiel, ich sehe schon, ich bin der betrogene Teil. Doch ich will nicht stören‘ – Er sagte dies vor Wut zitternd, indem er sich von seinem Platz entfernen wollte. Luise, – o ich habe sie nie so süß, so wundervoll gesehen wie in jenem Augenblicke; sie schien mit aller Hingebung der Zärtlichkeit an diesem Manne zu hängen; sie ergriff bebend seine Hand, sie rief ihn mit den liebevollsten Tönen; sie beteuerte, sich unschuldig zu wissen, sie rief mich zürnend zum Zeugen auf. Ich war hingerissen von diesem Zauber der Liebe, der sich mir hier zum erstenmal in seiner ganzen Schönheit darstellte. Es ist etwas Schönes um ein Mädchen, das in sanfter, stiller Liebe ist, es ist etwas Heiliges, möchte ich sagen. Aber der Schmerz inniger Liebe, das Zittern zärtlicher Angst und diese Thränen in den blauen Augen, dieses Flüstern der süßesten Namen von den feinen Lippen und diese Röte der Angst und der Beschämung auf den zarten Wangen, es ist ein Bild, irdischer zwar als jenes, aber von einer hinreißenden Gewalt.“

„Ich kenne das“, unterbrach ich diese rednerischen Schilderungen des verliebten Berliners, dem die Dame seines Herzens in jeder neuen Form wieder lieblicher schien, „ich kenne das, so was Heiliges, so was Weinendes, Madonnenartiges, Grazienhaftes, Süßes, Bitterschmerzliches, kurz, so was Klagendes, Anziehendes, ich kenne das; aber wie war es denn mit dem zornigen Patron, der Euer Wohlgeboren so ähnlich?“

„Er glaubte ihren Versicherungen nicht, war es Eifersucht, war es sein leidenschaftlicher Zorn, den er nicht bemeistern konnte, er stieß sie zurück, er drohte, sie nie mehr zu sehen. Das Mädchen

  1. Die Möglichkeit einer solchen Verwechslung beweist ein Fall, der sich vor einigen Monaten in Ravensburg im Württembergischen zutrug. Zwei Zwillingsbrüder sahen sich täuschend ähnlich. Der eine tötete einen Mann und floh. Er wußte, daß sein Bruder, der in Bregenz in einem österreichischen Regiment diente, desertiert war. Der Mörder wandte sich dorthin, zeigte sich in der Gegend, ließ sich als Deserteur gefangen nehmen und viermal Spießruten jagen. Er diente einige Zeit in der Stelle seines Bruders, bis der Betrug durch einen Zufall entdeckt wurde.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 350–351. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_177.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)