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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

‚Lesen Sie, und dann – richten Sie‘, gab ich ihm stolz zur Antwort und verließ ihn.

Wenn in Ihrem Vaterlande, Mylord, eine Preisfrage gestellt würde über den würdigsten englischen Theologen, und es würden in einer gelehrten, mit Phrasen wohldurchspickten Antwort die Vorzüge des Vicar of Wakefield[1] dargethan, wer würde da nicht lachen? Wenn Sie, werter Marquis, nach der würdigsten Dame zu den Zeiten Louis’ XIV. gefragt würden und Sie priesen die ‚Neue Heloise‘[2], würde man Sie nicht für einen Rasenden halten? Hören Sie, welche Thorheit ich begangen hatte!

Der Samstag, an welchem man unsere Arbeiten gewöhnlich zensierte, erschien endlich. So oft dieser Tag sonst erschienen war, war er mir immer ein Tag des Unglücks gewesen; gewöhnlich schlich ich da mit Herzklopfen zur Schule, denn ich durfte gewiß sein, wegen schlechter Arbeit getadelt, öffentlich geschmäht zu werden. Aber wieviel stolzer trat ich heute auf; ich hatte meinen besten Rock angezogen, den schönsten, feingestickten Hemdkragen angelegt, mein wallendes Haar war zierlich gescheitelt und gelockt, ich sah stattlich aus und gestand mir, ich sei auch im Äußeren des Preises nicht unwürdig, welcher mir heute zu teil werden sollte.

Der Rektor fing an, die Aufsätze zu zensieren; wie ärmliche, obskure Helden hatten sich meine Mitschüler gewählt: Hermann, Karl den Großen, Kaiser Heinrich, Luther und dergleichen – er ging viele durch, immer kam er noch nicht an meine Arbeit; ja es war offenbar, meine Helden hatte er auf die Letzt aufgespart – als die besten!

Endlich ruhte er einige Augenblicke, räusperte sich und nahm ein Heft mit rosenfarbener Überdecke, das meinige, zur Hand; mein Herz pochte laut vor Freude, ich fühlte, wie sich mein Mund zu einem triumphierenden Lächeln verziehen wollte, aber ich gab mir Mühe, bescheiden bei dem Lob auszusehen; der Rektor begann:

‚Und nun komme ich an eine Arbeit, welche ihresgleichen nicht hat auf der Erde (heart). Ich will einige Stellen daraus vorlesen!‘ [329] Er deklamierte mit ungemeinem Pathos gerade jene Kraftstellen, welche ich mit so großer Begeisterung niedergeschrieben hatte. Ein schallendes Gelächter aus mehr als vierzig Kehlen unterbrach jeden Satz, und als er endlich an den Schluß gelangte, wo ich mit einer kühnen Wendung dem furchtbaren Domschützen noch einige Blümchen gestreut hatte, erscholl Bravo! Ancora![3] und die Tische krachten unter den beifalltrommelnden Fäusten meiner Mitschüler. Der Rektor winkte Stille und fuhr fort: ‚Es wäre dies eine gelungene Satire auf die Herren Spieß und Konsorten, wenn nicht der Verfasser selbst eine Satire auf die Menschheit wäre. Es ist unser lieber Garnmacher. Tritt hervor, du dedecus naturae, hieher zu mir!‘

Zitternd folgte ich dem fürchterlichen Wink. Das erste war, als ich vor ihm stand, daß er mir das rosenfarbene Heft einmal rechts und einmal links um die Ohren schlug; und jetzt donnerte eine Strafpredigt über mich herab, von der ich nur so viel verstand, daß ich ein bête war, und nicht wußte, was Geschichte sei.

Es begegnet zuweilen, daß man im Traum von einer schönen, blumigen Sonnenhöhe in einen tiefen Abgrund herabfällt; man schwindelt, indem man die unermeßlichen Höhen herabfliegt, man fühlt die unsanfte Erschütterung, wenn man am Boden zu liegen glaubt, man erwacht und sieht sich mit Staunen auf dem alten Boden wieder; die Höhe, von der man herabstürzte, ist mit all ihren Blütengärten verschwunden, ach, sie war ja nur ein Traum!

So war mir damals, als mich der Rektor aus meinem Schlummer aufschüttelte, ein tiefer Seufzer war die einzige Antwort, die ich ihm geben konnte, ich war arm wie jener Krösus, als er vor seinem Sieger Cyrus stand, auch ich hatte ja alle meine Reiche verloren!

Ich sollte bekennen, woher ich die Romane bekommen, wer mir das Geld dazu gegeben habe. Konnte, durfte ich sie, die ich einst liebte, verraten? Ich leugnete, ich hielt den ganzen Sturm des alten Mannes auf, ich stand wie Mucius Scävola.

Der langen Rede kurzer Sinn war übrigens der, daß ich von meinem Vater ein Attestat darüber bringen müsse, daß ich


  1. Bekannter Roman des engl. Dichters Oliver Goldsmith (1728–1774).
  2. „La Nouvelle Héloïse“, berühmter Roman Jean Jacques Rousseaus (1712–78).
  3. D. h. noch einmal (ital).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 328–329. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_166.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)