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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

sich eng um den Leib und zeigte überall den schönen Wuchs der jungen Männer. In sonderbarem Kontrast damit standen weite Pluderhosen von grober Leinwand. Aus ihren Röcken sahen drohende Dolchgriffe hervor, und in der Hand trugen sie Beilstöcke, ungefähr wie die römischen Liktoren. Gar nicht recht wollte aber zu diesem Kostüm passen, daß sie Brillen auf der Nase hatten und gewaltig Tabak rauchten.

Ich fragte meinen Führer, was das für eine sonderbare Armatur und Uniform wäre, und ob sie vielleicht eine Besatzung der Grütliwiese vorstellen sollten? Er aber belehrte mich, daß es fahrende Schüler aus Deutschland wären. Unwillkürlich drängte sich mir der Gedanke an den fahrenden Ritter Don Quichotte auf, ich stieg lachend in meinen Kahn und pries mein Glück, auf einem Platz, der durch die erhabenen Erinnerungen, die er erweckt, nur zu leicht zu träumerischen Vergleichungen führt, eine so groteske Erscheinung aus dem Leben gehabt zu haben. Die jungen Deutschen söhnten mich aber wieder mit sich aus, denn als mein Kahn über den See hingleitete, erhoben sie einen vierstimmigen Gesang in so erhabener Melodie, mit so würdigen, ergreifenden Wendungen, daß ich ihnen in Gedanken das Vorurteil abbat, welches ihr Kostüm in mir erweckt hatte.“

„Nun ja, da haben wir’s“, fuhr der Baron von Garnmacher fort, „so sah es damals unter alt und jung in Deutschland aus; auch ich hatte Fouquésche Romane gelesen, wurde ein frommer Knabe, trug mich wie alle meine Kameraden altdeutsch und war meiner Herrin, der ‚wunnigen Maid‘, mit einer keuschen, inniglichen Minne zugethan. Auf Amalie machte übrigens der ‚Zauberring‘, die ‚Fahrten Thiodolfs‘[1] etc. nicht den gewünschten Eindruck; sie verlachte die sittigen, lichtbraunen, blauäugigen Damen, besonders die Bertha von Lichtenrieth, und pries mir Lafontaine[2] und Langbein[3], schlüpfrige Geschichten, welche ihr eine ihrer Freundinnen zugesteckt hatte.

[325] Ich war zu erfüllt von dem deutschen Wesen, das in mir aufging, als daß ich ihr Gehör gegeben hätte, aber der lüsterne Brennstoff jener Romane brannte fort in dem Mädchen, das sich, weil sie für ihr Alter schon ziemlich groß war, für eine angehende Jungfrau hielt, und kurz – es gab eine Josephsszene zwischen uns; ich hüllte mich in meinen altdeutschen Rock und meine Fouquésche Tugend ein und floh vor den Lockungen der Sirene wie mein Held Thiodolf vor der herrlichen Zoe.

Die Folge davon war, daß sie mich als einen Unwürdigen verachtete und dem Prinzen, des Rektors Sohn, ihre Liebe schenkte. Ob er mit ihr Lafontaine und Langbein studierte, weiß ich nicht zu sagen, nur so viel ist mir bekannt, daß ihn der Fürst, Amaliens Vater, einige Wochen nachher eigenhändig aus dem Garten gepeitscht hat.

Ich saß jetzt wieder auf meinem Dachkämmerlein, hatte die hebräische Bibel und die griechischen Unregelmäßigen vor mir liegen und auf ihnen meine Romane. An manchem Abend habe ich dort heiße Thränen geweint und durch die Jalousien in den Garten hinabgeschaut, denn die zuchtlose Jungfrau sollte meinen Jammer nicht erschauen, sie sollte den Kampf zwischen Haß und Liebe nicht auf meinem Antlitz lesen. Ich war fest überzeugt, daß so unglücklich wie ich kein Mensch mehr sein könne, und höchstens der unglückliche Otto von Trautwangen[4], als er in Frankreich mit seinem vernünftigen, lichtbraunen Rößlein eine Höhle bewohnte, konnte vielleicht so kummervoll gewesen sein wie ich.

Aber das Maß meiner Leiden war nicht voll; hören Sie, wie ‚aus entwölkter Höhe‘ mich ein zweiter Donner traf.

Der alte Rektor hatte seinen Schülern ein Thema zu einem Aufsatz gegeben, worin wir die Frage beantworten sollten, wen wir für den größten Mann Deutschlands halten. Es sollte sein Wert geschichtlich nachgewiesen, Gründe für und wider angegeben und überhaupt alles recht gelehrt abgemacht werden. Ich hatte, wie ich Ihnen schon bemerkt habe, meine Herren, immer einen harten Kopf, und Aufsätze mit Gründen waren mir


  1. Romane de la Motte-Fouqués.
  2. Aug. Heinr. Jul. Lafontaine (1759–1831), bekannt als Verfasser schwacher, empfindsamer Romane.
  3. Aug. Friedr. Ernst Langbein (1757–1835), Dichter launiger Schwänke und Erzählungen, die manche schlüpfrige Stellen enthalten.
  4. Der Held in Fouqués Ritterroman „Der Zauberring“; vgl. daraus den 2. Teil, 1. Kapitel.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 324–325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_164.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)