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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Wie schön sagt Schiller:

‚Einen Blick
Nach dem Grabe
Seiner Habe
Sendet noch der Mensch zurück.‘

So stand ich wie niedergedonnert an dem Unrat. Sollte ich in zierlicher Stellung mit den Fingerspitzen den Hut herausziehen? Aber dann war zu befürchten, daß er ganz ruiniert sei; sollte ich völlig chapeau bas weiterziehen, wie einer, der ohne Hut dem Galgen oder dem Tollhaus entsprungen?

Wie ein silbernes Feuerglöckchen schlägt jetzt das lustige Lachen meiner Dulcinea an mein Ohr; brummend wie die schweren Totenglocken, das Grabgeläute meiner Hoffnung, antworten zehn Bässe aus dem gegenüber stehenden Kaffeehaus, Husaren-Lieutenants, Schreiber, Kaufleute brüllen aus den aufgerissenen Fenstern, und ‚Hussa, Sultan, such’ verloren!‘ tönt die Stimme meines furchtbarsten Rivalen, des Grafen Lobau. Eine englische Dogge von Menschenlänge stürzt hervor, packt den verlornen Hut mit geübter Schnauze, rennt auf mich zu, stellt sich auf die Hinterbeine, tappt mit seinen Pfoten auf meine Schultern und präsentiert mir das triefende corpus delicti.

Was ich dir hier mit vielen Worten erzähle, mein Bester, war das Werk eines Augenblicks; wie angefroren war ich dagestanden, und erst die Zudringlichkeit des höflichen Hundes gab mir meine Fassung wieder. Wieherndes, jauchzendes Gelächter scholl aus dem Café, und auch bei ihr waren alle Fenster mit Lachern angefüllt; und als ich einen zärtlichen Blick, den letzten, hinauflaufen ließ, sah ich, wie sie das battistene Schnupftuch in den Mund schob, um nicht vor Lachen zu bersten; da verlor ich von neuem die Fassung. Wütend ergriff ich den Hut und schlug ihn der Dogge ins Gesicht; aber die Bestie verstand keinen Spaß, sie packte mich an der zierlichen Busenstreife, ich ließ ihr diese Spolien und machte mich eilends davon, durch dick und dünn galoppierend, aber die Bestie folgte, und andere Hunde und Gassenjungen stürzten nach, und die schreckliche Jagd nahm erst ein Ende, als ich atemlos in das Portal meines Gasthofes stürzte.

[289] Daß es mit meiner Liebe aus war, kannst du denken, besonders da ich nachher erfuhr, die Kokette habe alle ihre Anbeter um diese Stunde in das Kaffeehaus bestellt, um täglich meine Fensterparade zu bewundern!“

Ich bedauerte den Armen von Herzen, er aber griff ruhig nach seinem Glas, trank und fuhr dann fort:

„Kann dich versichern, so hundsföttisch ging es mir von jeher, besonders aber in der neuen, aufgeklärten Zeit, wo man so ungemein viel auf das Schickliche hält und verzweifeln möchte, wenn der vortreffliche Reifrock der Etikette ein wenig unsanft berührt wird. Darum ist es mir bei einem Gastmahl immer höllenangst. Wird fette Sauce umhergegeben, so sehe ich schon im Geiste, daß ich damit zittern und sie verschütten werde; kömmt dann der Bettel an mich, so bricht mir der Angstschweiß aus, die Sauciere klappert in meiner zitternden Hand fürchterlich, sie schwankt, ich fahre mit der andern Hand darnach und – richtig, meine freundliche Nachbarin hat die ganze Bescherung auf dem neuen drap d’or, oder genuesischen Samtkleid, daß alles im schönsten Fett schwimmt. Habe ich aber endlich eine solche Fegefeuertour durchgemacht, ohne Sauce zu verschütten, ohne ein Glas umzuwerfen, ohne einen Löffel fallen zu lassen, ohne den Schoßhund auf den Schwanz zu treten, ohne der Tochter des Hauses die größten Sottisen zu sagen, wenn ich höflich und pikant sein will, so faßt mich irgendein Unheil noch zum Schluß, daß ich mit Schande abziehe wie heute.“

„Nun“, fragte ich, „und was warf dich denn heute mitten ins Zimmer?“

„Als der langweilige Mensch seine Erzählung anhub, wie er ein paar Pfaffen habe singen hören, und wie er einem hübschen Mädchen nachgelaufen sei – was man überall thun kann, ohne gerade in Rom zu sein – da übermannte mich die Langeweile, die eines meiner Hauptübel ist, und so setzte ich, um mich zu unterhalten, meinen Stuhl rückwärts in Bewegung und schaukelte mich ganz angenehm; auf einmal, ehe ich mich dessen versah, schlug der Stuhl mit mir rückwärts über und ich lag –“

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 288–289. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_145.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)