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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Abend in der Kapelle, den du mir so hartnäckig leugnest! Gestehst du ihn deiner Luise noch nicht?‘

Welche Pein! was sollte ich sagen? Da fiel plötzlich das Signal, die Pferde rannten durch den Korso. Meine Schöne bog den Kopf abwärts, und ich, meiner Sinne kaum mächtig, flüchtete hinter die nächste Säule, um nicht im Augenblick vor dem arglosen Mädchen als ein Thor oder noch etwas Schlimmeres zu erscheinen. Und was war ich auch anders, wenn ich mich selbst recht ernstlich fragte? Was wollte ich von dem Mädchen, was konnte ich von ihr wollen? Und war nicht eine so weit getriebene Neugierde Frevel?

Während ich noch so mit mir selbst kämpfte, ob es nicht ehrlicher sei, ein Abenteuer aufzugeben, dessen Ende nur ein thörichtes sein könnte, bemerkte ich, daß meine Stelle schon wieder besetzt sei. Ich schlich näher herzu, um wenigstens zu hören, wer der Glückliche sei, da ich ihn, ohne meine unbescheidene Nähe zu verraten, nicht sehen konnte.

‚Wie magst du nur so zerstreut fragen‘, sagte Luise, ‚du selbst hast mich ja heraufgeführt.‘

‚Ich hätte dich geführt, der ich diesen Augenblick erst zu dir trete? Gestehe, du betrügst mich: wer hat dich hergeleitet?‘

Mit befangener Stimme, dem Weinen nahe, beharrte sie auf dem, was sie vorhin sagte. ‚Du bist auch wie unser Wetter über den Alpen, soeben noch so freundlich, und jetzt so kalt, so finster.‘

Jener stand schnell auf: ‚Ich bin nicht gestimmt, meine Gnädige, das Ziel Ihrer Scherze zu sein‘, sagte er, ‚und wenn Sie sich in Rätsel vertiefen, wird meine Gesellschaft Ihnen lästig werden.‘ Er brach auf und wollte gehen. Ich konnte die Leiden der Armen nicht mehr verlängern, trat hervor hinter der Säule, um mich als Auflösung des Rätsels zu zeigen. Aber wie ward mir! Meine eigene Gestalt, mein eigenes Gesicht glaubte ich mir gegenüber zu sehen. Die überraschende Ähnlichkeit –“




[285]

Fünfzehntes Kapitel.
Das Intermezzo. – Die Trinker.

Ein schrecklicher Angstschrei, ein Gerassel, wie Blitz und Donner einander folgend, unterbrach den Erzähler. Welcher Anblick! Der Jude lag ausgestreckt auf dem Boden des Saales, überschüttet mit Thee, Trümmer seines Stuhles und der feinen Meißner Tasse, die er im Sturz zerschmettert, um ihn her. Der Ärger über eine solche Unterbrechung war auf allen Gesichtern zu lesen; zürnend wandten die Damen ihr Auge von diesem Schauspiel, von den Herren machte keiner Miene, ihm beizustehen. Er selbst aber blieb Sekunden lang liegen, ohne sich zu rühren und schaute verwundert herauf.

Ich sprang auf, ihm beizustehen, ich hob ihn auf und sah mich nach einem andern Stuhl um, auf welchen ich ihn setzen könnte. Aber ein Verwandter des Hauses raunte mir in die Ohren, ich möchte machen, daß wir fortkommen, mein Hofmeister scheine sich nicht in dieser Gesellschaft zu gefallen.

Wir folgten dem Wink und nahmen unsere Hüte. Als ich mich von der gnädigen Frau beurlaubte, sagte sie mir viel Schönes und lud mich ein, sie recht oft zu sehen; meinen armen Hofmeister würdigte sie keines Blickes. Sie neigte sich so kalt als möglich und ließ ihn abziehen. Gelächter schallte uns nach, als wir den Saal verließen, und ich hatte mit meiner Inkarnation so viel menschliche Eitelkeit angezogen, daß mich dieses Lachen ungemein ärgerte.

Wie gern hätte ich die Erzählung jenes interessanten jungen Mannes zu Ende gehört[AU 1], wie viel Wichtiges und Psychologisches hätte ich noch von dem „Gardeuniform liebenden“ Fräulein erlauschen können! Und war ich selbst nicht ganz dazu gemacht, junge Herzen an jenem Abend zu erobern? Ein junger, reicher, ich darf sagen, hübscher Mann auf Reisen findet, wo er hinkommt, freundliche Augen, durch welche er so leicht in die Herzen

  1. Die Fortsetzung dieser Novelle findet sich im zweiten Teile.
    Der Herausgeber.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 284–285. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_143.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)