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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Er erstaunte, behauptete, mich von seinem Wagen aus mit einer Dame am Arm gesehen und begrüßt zu haben. Er schwieg etwas beleidigt, als ich es wieder verneinte. Aber plötzlich kam mir der Gedanke, wie wenn es die Gesuchten wären? – Man war in allen Zirkeln sehr gespannt auf diesen Abend. Ein prachtvoller Maskenzug, worin Damen aus den edelsten römischen Häusern eine Rolle übernommen hatten, sollte das Karneval verherrlichen. Ich gab dem Drängen meiner Bekannten nach und ging mit in den Korso.

Erwarten Sie von mir keine Beschreibung dieses Schauspiels. Zu jeder andern Zeit würde ich ihm alle meine Aufmerksamkeit geschenkt haben, nicht nur weil es mir als Volksbelustigung sehr interessant gewesen wäre, sondern weil sich der Charakter der Römer gerade hier am meisten aufdeckt. Aber wenn ich sage, daß von dem ganzen Abend, von allen Herrlichkeiten des Korso nur noch ein Schatten in meiner Erinnerung geblieben und nur ein heller Stern aus dieser Nacht auftaucht, so werden Sie vergeben, wenn ich über das interessante Schauspiel Ihre Neugierde nicht zur Genüge befriedige.

Die lange, enge Straße war schon gefüllt, als wir durch die Porta del popolo hereintraten; unabsehbar wogten die Wellen der Menge durcheinander, und das Auge gleitete unbefriedigt darüber hinweg, weil es unter der Mischung der grellsten Farben keinen Punkt fand, der es festhielt. Die Erwartung war gespannt. Überall hörte man von dem Maskenzug reden, der sich nun bald nahen müsse. Ein rauschendes Beifallrufen drang jetzt von dem Obelisken auf der Piazza herüber und verkündete die Auffahrt der Masken. Alle Blicke richteten sich dorthin. Von den Balkons und Gerüsten herab wehten ihnen Tücher und winkten schöne Hände entgegen, indem die Equipagen sich in die Seiten drängten, um den Wagen des Zuges Platz zu machen. Er nahte. Gewiß ein herrlicher Anblick. Die Götter der alten Roma schienen wieder in die alten Mauern eingezogen zu sein, um ihren Triumph zu feiern. Liebliche, majestätische Gruppen! Welch herrliche Umrisse in den Gestalten des Apoll und Mars, wie lieblich Venus und Juno, und man konnte es nicht für Unbescheidenheit [283] halten, sondern mußte gerade hierin den schönsten Triumph finden, wenn das Volk mit Ungestüm den Göttinnen zurief, die Masken abzunehmen. Unendlich wurde aber der Beifall, als die Gräfin Parvi, die edlen Formen des Gesichtes unverhüllt, als Psyche sich nahte. Wahrlich, dieser liebliche Ernst, diese sanfte Größe hätten einen Zeuxis[1] und Praxiteles[2] begeistern können.

Der Abend nahte heran, man rüstete sich, die Gerüste zu besteigen, weil das Pferderennen beginnen sollte. Ich stand ziemlich verlassen auf der Straße, musternd mit sehnsüchtigen Blicken die Galerien und Balkone, ob meine Schöne nicht darauf zu treffen sei. Plötzlich fühlte ich einen leisen Schlag auf die Schulter. ‚So einsam?‘ tönte in der lieben Muttersprache eine süße Stimme in mein Ohr. Ich sah mich um. Eine reizende Maske in der Kleidung einer Tirolerin stand hinter mir. Durch die Höhlen der Maske blitzten jene blauen Augen, die mich damals so sehr überraschten. Sie ist’s – es ist kein Zweifel. Ich bot ihr schweigend die Hand, sie drückte sie leise. ‚Du böser Otto‘, flüsterte sie, ‚den ganzen Abend habe ich dich vergebens gesucht. Wie mußte ich schwatzen, um die Signora los zu werden!‘

Die Wache rückte die Straße herab. Es war hohe Zeit, die Galerien zu suchen. Ich deute hinauf, sie gab mir ihren Arm, sie folgte. Ein heimliches Plätzchen hinter einer Säule bot sich dar, sie wählte es von selbst. Karneval, Pferderennen, alle Schönheiten Roms waren für mich verloren, als mein stiller Himmel sich öffnete, als sie die Maske abnahm. Noch lieblicher, noch unendlich schöner war sie als an jenem Abend. Die zarte Blässe, die sie damals aus der Kapelle brachte, war einer feinen, durchsichtigen Röte gewichen; das Auge strahlte noch von höherem Glanz als damals, und der tiefe, beinahe wehmütige Ernst der Züge, wie sie sich mir damals zeigte, war durch ein Lächeln gemildert, das fein und flüchtig um die zarten Lippen wehte.

Sie heftete wieder einige Minuten schweigend ihr Auge auf mein Gesicht, strich mir spielend die Haare aus der Stirne und rief dann plötzlich: ‚Jetzt bist du’s wieder ganz! ganz wie an jenem


  1. Zeuxis, berühmter griechischer Maler um 400 v. Chr.
  2. Praxiteles, berühmter griechischer Bildhauer um 350 v. Chr.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 282–283. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_142.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)