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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Meine Stimmung wurde nicht heiliger, als ich an das Portal der Sixtinischen Kapelle kam. Die päpstliche Wache, alte, ausgediente schneiderhafte Gestalten, hielten hier Wache mit so meisterlicher Grandezza, als nur die Cherubim an der Himmelsthüre. Der Glanz der Kerzen blendete mich, da ich eintrat, und stach wunderbar ab gegen den dunklen Chor, in das die Finsternis zurückgeworfen schien. Nur der Hochaltar war dort von dreizehn hohen Kerzen erleuchtet.

Ich hatte Muße genug, die Gesichter der Gesellschaft um mich her zu mustern. Ich bemerkte nur sehr wenige Römer, dagegen fast alles, was Rom an Fremden beherbergte.

Einige französische Marquis, berüchtigte Spieler, einige junge Engländer von meiner Bekanntschaft standen ganz in meiner Nähe. Sie zogen mich auf, daß auch ich mich habe verführen lassen, dem Spektakle, wie sie es nannten, beizuwohnen; Lord Parter aber meinte, es seie dies wohl der Schönen zu Gefallen geschehen, die ich mitgebracht habe. Er deutete dabei auf eine junge Dame, die neben mir stand. Er fragte nach ihrem Namen und ihrer Straße, und schien sehr ungläubig, als ich ihm damit nicht dienen zu können behauptete.

Ich betrachtete meine Nachbarin näher; es war eine schlanke, hohe Gestalt, dem Wuchs nach keine Römerin; ein schwarzer Schleier bedeckte das Gesicht und beinahe die ganze Gestalt, und ließ nur einen Teil eines Nackens sehen, so rein und weiß, wie ich ihn selten in Italien, beinahe nie in Rom gesehen hatte.

Schon pries ich im Herzen meine Höflichkeit gegen den alten Diplomaten, hoffend, eine interessante Bekanntschaft zu machen; wollte eben – da begann der Klaggesang und meine Schöne schien so eifrig darauf zu hören, daß ich nicht mehr wagte, sie anzureden. Unmutig lehnte ich mich an eine Säule zurück, Gott und die Welt, den Papst und seine Lamentationen verwünschend.

Unerträglich war mir der monotone Gesang. Denken Sie sich sechzig der tiefsten Stimmen, die unisono, im tiefsten Grundton der menschlichen Brust, Bußpsalmen murmeln. Der erste Psalm war zu Ende, eine Kerze auf dem Altar verlöschte. Getröstet, [277] die Farce werde ein Ende haben, wollte ich eben den jungen Lord anreden, als von neuem der Gesang anhub.

Jener belehrte mich zu meinem großen Jammer, daß noch alle zwölf übrigen Kerzen verlöschen müssen, bis ich ans Ende denken könne. Die Kirche war geschlossen und bewacht, an ein Entfliehen war nicht zu denken. Ich empfahl mich allen Göttern und gedachte einen gesunden Schlaf zu thun. Aber wie war es möglich? Wie Strahlen einer Mittagssonne strömten die tiefen Klänge auf mich zu. Zwei bis drei Kerzen verlöschten, meine Unruhe ward immer größer.

Endlich aber, als die Töne noch immer fortwogten, drangen sie mir bis ins innerste Mark. Das Erz meiner Brust schmolz vor den dichten Strahlen, Wehmut ergriff mich, Gedanken aus den Tagen meiner Jugend stiegen wie Schatten vor meiner Seele auf, unwillkürliche Rührung bemächtigte sich meiner, und Thränen entstürzten seit Jahren zum erstenmal meinem Auge.

Beschämt schaute ich mich um, ob doch keiner meine Thränen gesehen. Aber die Spieler, wunderbarer Anblick! lagen zerknirscht auf ihren Knieen, der Lord und seine Freunde weinten bitterlich. Zwölf Kerzen waren verlöscht. Noch einmal erhoben sich die tiefen, herzdurchbohrenden Töne, zogen klagend durch die Halle, immer dumpfer, immer leiser verschwebend. Da verlöschte die letzte Kerze und zugleich mit das Feuermeer der Kirche, und bange Schatten, tiefe Finsternis drang aus dem Chor und lagerte sich über die Gemeine. Mir war, als wär’ ich aus der Gemeinschaft der Seligen hinausgestoßen in eine fürchterliche Nacht.

Da tönten aus des Chores hintersten Räumen süße klagende Stimmen. Was jenes tiefe, schauerliche Unisono unerweicht gelassen, zerschmolz vor diesem hohen Dolce der Wehmut. Rings um mich das Schluchzen der Weinenden, vom Chor herüber Töne, wie von gerichteten Engeln gesungen, glaubte ich nicht anders, als in einer zernichteten Welt mit unterzugehen und zu hören, der Glaube an Unsterblichkeit sei Wahn gewesen.

Der Gesang war verklungen, Fackeln erhellten die Szene, die Menge ergoß sich durch die Pforten und auch ich gedachte, mich zum Aufbruch zu rüsten, da gewahrte ich erst, daß meine schöne

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 276–277. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_139.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)