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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

weit größere Menge hübscher, sogar schöner Gesichter findet, als selbst in Sachsen, welches doch wegen dieses Artikels berühmt ist.“

„Quelle sottise“, hörte ich Frau von Wollau schnauben, „welche abgeschmackte Behauptungen dieser gemeine Mensch –“

Umsonst winkte ich dem Ewigen mit den Augen, umsonst gab ihm der Dichter einen freundschaftlichen Rippenstoß, ihn zu erinnern, daß er sich unter Damen befinde, die auch auf Schönheit Anspruch machten; ruhig, als ob er den erzürnten Schönen das größte Kompliment gesagt hätte, fuhr er fort:

„Sie können gar nicht glauben, wie reizend dieser verschriene Dialekt von schönen Lippen tönt; wie alles so naiv, so lieblich klingt; wie unendlich hübsch sind diese blühenden Gesichtchen, wenn man ihnen sagt, daß sie schön seien, daß man sie liebe; wie schelmisch schlagen sie die Augen nieder, wie unschuldig erröten sie, welcher Zauber liegt dann in ihrem Trotz, wenn sie sich verschämt wegwenden und flüstern: ‚Ach ganget Se mer weg, moinet Se denn, i glaub’s?‘[AU 1] Hier in Norddeutschland gibt es meist nur Theegesichter, die einen Trost darin finden, ästhetisch oder ätherisch auszusehen; sie müssen den Atem erst lange anhalten, wenn sie es je der Mühe wert halten, über dergleichen zu erröten.“

O Jude, welchen Bock hattest du geschossen! Kaum hast du das zornblickende Auge einer Dame versöhnt, so begehst du den großen Fehler, vor zwölf Damen die schönen Gesichtchen zweier Länder zu loben, und nicht nur sie nicht mit aufzuzählen, sondern sogar ihren ätherischen Teint, ihre interessante Mondscheinblässe für Theegesichter zu verschreien!

Die jungen Damen sahen erstaunt, als trauten sie ihren Ohren nicht, die ältern an; diese warfen schreckliche Blicke auf den Frevler und auf die übrigen Herren, die, ebenso erstaunt, noch keine Worte zu einer Replik finden konnten. Die Theetassen, die goldenen Löffelchen klirrten laut in den vor Wut zitternden Händen der Mütter, die seit zehn Jahren mit vieler Mühe es dahin gebracht hatten, daß ihre Töchter nobel und edel aussehen möchten – wozu heutzutage außer dem Gefühl der Würde etwas Leidendes, [273] beinahe Kränkliches gehört – welche die immer wieder anschwellende Fülle ihrer Töchter, die immer wiederkehrende Röte der Wangen doch endlich zu besiegen gewußt hatten.

Und jetzt sollte dieser fremde, abenteuerliche, gemeine Mensch sie und ihre Freude, ihre Kunst zu schanden machen; er sollte es wagen, die Damen dieses deutschen Paris mit jenen schwerfälligen Bewohnerinnen des unkultivierten Schwabens auch nur in Parallele zu bringen, und ihnen den ersten Rang zu versagen?! Und dies sollten sie dulden?

Jamais! Gnädige Frau nahm das Wort mit einem Blick, der über das eiskalte Gesicht des stillen Zornes wie ein Nordschein über Schneegefilde herabglänzte: „Ich muß Sie nur herzlich bedauern, Herr Doktor Mucker, daß Sie das schöne Schwaben und seine naive Bauerdirnen so treulos verlassen haben; und ich bitte Sie, Lieber“, fuhr sie fort, indem sie sich zu dem Dichter, der uns eingeführt hatte, wandte, „ich bitte Sie, muten Sie diesem Herrn da nicht mehr zu, meine Zirkel zu besuchen. Jotte doch, er könnte bei unsern Damen seine robusten Naturen und jene Naivität vermissen, die er sich so janz zu eigen jemacht hat.“

Triumphierend richteten sich die Gebeugten auf, die Mütter spendeten Blicke des Dankes, die Fräulein kicherten hinter vorgehaltenen Sacktüchern, die jungen Herren hatten auch wieder die Sprache gefunden und machten sich lustig über meinen armen Hofmeister. Doch der feine Takt der gnädigen Frau ließ diesem Ausbruch der Nationalrache nur so lange Raum, bis sie den Doktor Mucker hinlänglich bestraft glaubte. Beleidigt durfte dieser Mann in ihrem Salon nie werden, wenn er gleich durch seine rücksichtslose Äußerung ihren Unwillen verdient hatte; sie beugte also schnell mit jener Gewandtheit, die feingebildeten Frauen so eigentümlich ist, allen weitern Bemerkungen vor, indem sie ihren Neffen aufforderte, sein Versprechen zu halten und der Gesellschaft die längst versprochene Novelle preiszugeben.

Dieser junge Mann hatte schon während des ganzen Abends meine Aufmerksamkeit beschäftigt. Er unterschied sich von den übrigen jungen Herren, die leer in den Tag hinein plauderten, sehr vorteilhaft durch Ernst und würdige Haltung, durch gewählten

  1. Gehen Sie doch! Meinen Sie denn, ich glaube daran?
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 272–273. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_137.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)