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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Wir lernten uns in Karlsbad kennen“, antwortete Frau von Wollau, „unsere Gemüter erkannten sich in gleichem Streben nach veredeltem Ziel der Menschheit[AU 1], sie zogen sich an, wir liebten uns; und da hat sie mir jetzt ihre ‚Gabriele‘ geschickt.“

„Das ist ja eine ganz interessante Bekanntschaft“, sagte Fräulein Natalie, die ältere Tochter des Hauses; „ach! wer doch auch so glücklich wäre! es geht doch nichts über eine geniale Dame; aber sagen Sie, wo haben Sie das wunderschöne Stickmuster her, ich kann ihre Tasche nicht genug bewundern.“

„Schön, – wunderschön! – und die Farben! – und die Guirlanden! – und die elegante Form!“ hallte es von den Lippen der schönen Theetrinkerinnen, und die arme „Gabriele“ wäre vielleicht über dem Kunstwerk ganz vergessen worden, wenn nicht unser Dichter sich das Buch zur Einsicht erbeten hätte. „Ich habe die interessantesten Szenen bezeichnet“, rief die Wollau, „wer von den Herren ist so gefällig, uns, wenn es anders der Gesellschaft angenehm ist, daraus vorzulesen?“

„Herrlich – schön – ein vortrefflicher Einfall –“ ertönte es wieder, und unser Führer, der in diesem Augenblicke das Buch in der Hand hatte, wurde durch Akklamation zum Vorleser erwählt; man goß die Tassen wieder voll und reichte die zierlichen Brötchen umher, um doch auch dem Körper Nahrung zu geben, während der Geist mit einem neuen Roman gespeist wurde, und als alle versehen waren, gab die Hausfrau das Zeichen, und die Vorlesung begann.

Beinahe eine Stunde lang las der Dichter mit wohltönender Stimme aus dem Buche vor; ich weiß wenig mehr davon, als daß es, wenn ich nicht irre, die Beschreibung von Tableaus enthielt, die von einigen Damen der großen Welt aufgeführt wurden; mein Ohr war nur halb oder gar nicht bei der Vorlesung; denn ich belauschte die Herzensergießungen zweier Fräuleins, die, scheinbar aufmerksam auf den Vorleser, einander allerlei Wichtiges in die Ohren flüsterten. Zum Glück saß ich weit genug von ihnen, um nicht in den Verdacht des Lauschens zu geraten, und doch war die [263] Entfernung gerade so groß, daß ein Paar gute Ohren alles hören konnten; die eine der beiden war die jüngere Tochter des Hauses, die, wie ich hörte, an einen Gardelieutenant ihr Herz verloren hatte.

„Und denke dir“, flüsterte sie ihrer Nachbarin zu, „heute in aller Frühe ist er mit seiner Schwadron vorbeigeritten, und unter meinem Fenster haben die Trompeter den Galoppwalzer von letzthin anfangen müssen.“

„Du Glückliche!“ antwortete das andere Fräulein, „und hat Mama nichts gemerkt?“

„So wenig als letzthin, wo er mich im Kotillon fünfmal aufzog; was ich damals in Verlegenheit kam, kannst du gar nicht glauben. Ich war mit dem …schen Attaché engagiert und du weißt, wie unerträglich mich dieser dürre Mensch verfolgt; er hatte schon wieder von den italienischen Gegenden Süddeutschlands angefangen und mir nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß sie noch schöner wären, wenn ich mit ihm dorthin zöge, da erlöste mich der liebe Fladorp aus dieser Pein; doch kaum hatte er mich wieder zurückgebracht, als der Unerträgliche sein altes Lied von Neuen anstimmte, aber Eduard holte mich noch viermal aus seinen glänzendsten Phrasen heraus, so daß jener vor Wut ganz stumm war, als ich das letztemal zurückkam; er äußerte gegen Mama seine Unzufriedenheit, sie schien ihn aber nicht zu verstehen.“

„Ach, wie glücklich du bist“, entgegnete wehmütig die Nachbarin, „aber ich! weißt du schon, daß mein Dagobert nach Halle versetzt ist? Wie wird es mir ergehen!“

„Ich weiß es und bedaure dich von Herzen, aber sage mir doch, wie dies so schnell kam?“

„Ach!“ antwortete das Fräulein und zerdrückte heimlich eine Thräne im Auge; „ach, du hast keine Vorstellung von den Kabalen, die es im Leben gibt. Du weißt, wie eifrig Dagobert immer für das Wohl des Vaterlandes war; da hatte er nun einen neuen Zapfenstreich erfunden, er hat ihn mir auf der Fensterscheibe vorgespielt, er ist allerliebst; seinem Obersten gefiel er auch recht wohl, aber dieser wollte haben, er solle ihm die Ehre der Erfindung lassen;

  1. Frau von Wollau will wahrscheinlich sagen,„nach dem Ziel der Veredlung“ –
    Der Herausgeber.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 262–263. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_132.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)