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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Es will Abend werden“, gab ich ihm zur Antwort.

„O Mitternacht!“ stöhnte er, „wann endlich kommen deine kühlen Schatten und senken sich auf mein brennendes Auge? Wann nahest du, Stunde, wo die Gräber sich öffnen und Raum wird für den Einen, der dann ruhen darf?“

„Pfui Kuckuck, alter Heuler!“ brach ich los, erbost über die weinerlichen Manieren des ewigen Wanderers; „wie magst du nur solch ein poetisches Lamento aufschlagen? Glaube mir, du darfst dir gratulieren, daß du noch etwas Apartes hast; manche lustige Seele hat es an einem gewissen Ort viel schlimmer, als du hier auf der Erde; man hat doch hier oben immer noch seinen Spaß, denn die Menschen sorgen dafür, daß die tollen Streiche nicht ausgehen. Wenn ich so viele freie Zeit hätte wie du, ich wollte das Leben anders genießen. Ma foi, Brüderchen, warum gehst du nicht nach England, wo man jetzt über die galanten Abenteuer einer Königin öffentlich certiert?[1] Warum nicht nach Spanien, wo es jetzt nächstens losbricht? Warum nicht nach Frankreich, um dein Gaudium daran zu haben, wie man die Wände des Kaisertums überpinselt und mit alten Gobelins von Louis des Vierzehnten Zeiten, die sie aus dem Exil mitgebracht haben, behängt. Ich kann dich versichern, es sieht gar närrisch aus, denn die Tapete ist überall zu kurz, und durch die Risse guckt immer noch ernst und drohend das Kaisertum, wie das Blut des Ermordeten, das man mit keinem Gips auslöschen kann, und das, so oft man es weiß anstreicht, immer noch mit der alten bunten Farbe durchschlägt!“

Der alte Mensch hatte mir aufmerksam zugehört, sein Gesicht war immer heiterer geworden, und er lachte jetzt aus vollem Herzen: „Du bist, wie ich sehe, immer noch der Alte“, sagte er und schüttelte mir die Hand, „weißt jedem etwas aufzuhängen, und wenn er gerade aus Abrahams Schoß käme!“

„Warum“, fuhr ich fort, „warum hältst du dich nicht länger und öfter hier in dem guten ehrlichen Deutschland auf? Kann [253] man etwas Possierlicheres sehen als diese Duodezländer? Das ist alles so – doch stille, da geht einer von der geheimen Polizei umher; man könnte leicht etwas aufschnappen und den Ewigen Juden und den Teufel als unruhige Köpfe nach Spandau schicken; aber um auf etwas anderes zu kommen, warum bist du denn hier in Berlin?“

„Das hat seine eigene Bewandtnis“, antwortete der Jude; „ich bin hier, um einen Dichter zu besuchen.“

„Du einen Dichter?!“ rief ich verwundert; „wie kömmst du auf diesen Einfall?“

„Ich habe vor einiger Zeit ein Ding gelesen, man heißt es Novelle, worin ich die Hauptrolle spielte; es führte zwar den dummen Titel ‚Der Ewige Jude‘, im übrigen ist es aber eine schöne Dichtung, die mir wunderbaren Trost brachte! Nun möchte ich den Mann sehen und sprechen, der das wunderliche Ding gemacht hat.“

„Und der soll hier wohnen in Berlin?“ fragte ich neugierig, „und wie heißt er denn?“

„Er soll hier wohnen und heißt F. H.[2] Man hat mir auch die Straße genannt, aber mein Gedächtnis ist wie ein Sieb, durch das man Mondschein gießt!“

Ich war nicht wenig begierig, wie sich der Ewige Jude bei einem Dichter produzieren würde, und beschloß, ihn zu begleiten. „Höre Alter“, sagte ich zu ihm, „wir sind von jeher auf gutem Fuß miteinander gestanden, und ich hoffe nicht, daß du deine Gesinnungen gegen mich ändern wirst; sonst –“

„Zu drohen ist gerade nicht nötig, Herr Satan“, antwortete er, „denn du weißt, ich mache mir wenig aus dir und kenne deine Schliche hinlänglich, aber deswegen bist du mir doch als alter Bekannter ganz angenehm und recht; warum fragst du denn?“

„Nun, du könntest mir die Gefälligkeit erweisen, mich zu dem Dichter, der dich in einer Novelle abkonterfeite, mitzunehmen; willst du nicht?“


  1. Anspielung auf den skandalösen Scheidungsprozeß, den König Georg IV. von England 1821 gegen seine Gemahlin Karoline von Braunschweig bei dem Parlament anhängig machte.
  2. D. i. der belletristische Schriftsteller Franz Christoph Horn (1781–1837), dessen „Ewiger Jude“ in seinen „Novellen“, 2 Bde., 1819–20 erschien.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 252–253. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_128.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)