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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Der gute Theologe wußte nicht, wie ihm geschah, mein Sekundant und Zeuge sprangen mit einem Zollstab hinzu, maßen die Wunde und sagten mit feierlicher Stimme: „Es ist mehr als ein Zoll, klafft und blutet, also Ansch–ß“; das hieß soviel als: weil ich dem guten Jungen ein zolllanges Loch ins Fleisch gemacht hatte, war seiner Ehre genug geschehen.

Jetzt stürzten meine Freunde herzu, die Ältesten faßten meine Hände, die jüngeren betrachteten ehrfurchtsvoll die Waffe, mit welcher die in der Geschichte einzige und unerhörte That geschehen war; denn wer, seit des großen Renommisten Zeiten durfte sich rühmen, vorher die Stelle, die er treffen wollte, angezeigt und mit so vieler Genauigkeit getroffen zu haben?

Ernsten Blickes trat der Sekundant meines Gegners herein und bot mir in dessen Namen Versöhnung an. Ich ging zu dem Verwundeten, dem man gerade mit Nadel und Faden seine Wunde zunähte, und versöhnte mich mit ihm.

„Ich bin Ihnen Dank schuldig“, sagte er zu mir, „daß Sie mich so gezeichnet haben. Ich wurde ganz gegen meinen Willen gezwungen, Theologie zu studieren; mein Vater ist Landpfarrer, meine Mutter eine fromme Frau, die ihren Sohn gerne einmal im Chorrock sehen möchte. Sie haben mit einemmal entschieden, denn mit einer Schmarre vom Ohr bis zum Mund darf ich keine Kanzel mehr besteigen.“

Die Burschen sahen teilnehmend auf den wackern Theologen, der wohl mit geheimer Wehmut an den Schmerz des alten Pastors, an den Jammer der frommen Mama denken mochte, wenn die Nachricht von diesem Unfall anlangte; ich aber hielt es für das größte Glück des Jünglings, durch eine so kurze Operation der Welt wieder geschenkt zu sein. Ich fragte ihn, was er jetzt anzufangen gedenke, und er gestand offen, daß der Stand eines Kavalleristen oder eines Schauspielers ihn von jeher am meisten angezogen hätte.

Ich hätte ihm um den Hals fallen mögen für diesen vernünftigen Gedanken, denn gerade unter diesen beiden Ständen zähle ich die meisten Freunde und Anhänger; ich riet ihm daher aufs ernstlichste, dem Trieb der Natur zu folgen, indem ich ihm die [235] besten Empfehlungsbriefe an bedeutende Generale und an die vorzüglichsten Bühnen versprach.

Dem ganzen Personale aber, das dem merkwürdigen Duell angewohnt hatte, gab ich einen trefflichen Schmaus, wobei auch mein Gegner und seine Gesellen nicht vergessen wurden. Dem ehemaligen Theologen zahlte ich nachher in der Stille seine Schulden und versah ihn, als er genesen war, mit Geld und Briefen, die ihm eine fröhliche, glänzende Laufbahn eröffneten.

Meine geheime Wohlthätigkeit war so wenig als der glänzende Ausgang meiner Affaire ein Geheimnis geblieben. Man sah mich von jetzt wie ein höheres Wesen an, und ich kannte manche junge Dame, die sogar über meine großmütigen Sentiments Thränen vergoß.

Die Mediziner aber ließen mir durch eine Deputation einen prachtvollen Schläger überreichen, weil ich mich, wie sie sich ausdrückten, „für den guten Geruch ihrer Anatomie geschlagen habe“.

Die Welt bleibt unter allen Gestalten die nämliche, die sie von Anfang war. Dem Bösen, selbst dem Unvernünftigen huldigt sie gerne, wenn es sich nur in einem glänzenden Gewande zeigt; die gute, ehrliche Tugend mit ihren rauhen Manieren und ihrem ungeschliffenen, rohen Aussehen wird höchstens Achtung, niemals Beifall erlangen.





Neuntes Kapitel.
Satans Rache am Dr. Schnatterer.

Als ich sah, wieweit die Philosophie und Theologie in …en hinter meinen Vorstellungen, die ich mir zuvor gemacht hatte, zurückbleibe, legte ich mich mit Eifer auf Ästhetik, Rhetorik, namentlich aber auf die schöne Litteratur. Man wende mir nicht ein, ich habe auf diese Art meine Zeit unnütz angewendet. Ich besuchte ja jene berühmte Schule nicht, um ein Brotstudium zu treiben, das einmal einen Mann mit Weib und Kind ernähren könnte, sondern das „dic cur hic“, das ich recht oft in meine Seele

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 234–235. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_119.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)