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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

schon zum Dienste des Herrn gerüstet, als mir ein Gedanke einfiel, der den Doktor Paulus[1] weidlich schlagen muß.“

Ohne darauf zu achten, daß er sich beinahe der letzten Hülle beraube, wollte er eilfertig den Schlafrock herunterreißen, um auch sein übriges Kadaver zum Dienst des Herrn zu schmücken; sein Eheweib aber stellte sich mit einer schnellen Wendung vor ihn hin und zog die weiten Falten ihrer Kleider auseinander, daß vom Professor nichts mehr sichtbar war.

„Sie verzeihen, Herr Kandidat“, sprach sie, ihre Wut kaum unterdrückend; „er ist so im Amtseifer, daß Sie ihn entschuldigen werden. Schenken Sie uns ein andermal das Vergnügen. Er muß jetzt in die Kirche.“

Ich ging schweigend nach meinem Hut und ließ den Ehemann unter den Händen seiner liebenswürdigen Xantippe. „Ein schöner Anfang in der Theologie!“ dachte ich, und die Lust, die übrigen geistlichen Männer zu besuchen, war mir gänzlich vergangen; doch beschloß ich, einige Vorlesungen mit anzuhören, was ich auch den Tag nachher ausführte.

Man denke sich einen weiten, niedrigen Saal, vollgepfropft mit jungen Leuten in den abenteuerlichsten Gestalten; Mützen von allen Farben und Formen, lange herabwallende, kurze emporsteigende Haare, Bärte, an welchen sich ein Sappeur[2] der alten Garde nicht hätte schämen dürfen, und kleine zierliche Stutzbärtchen, galante Fracks und hohe Krawatten neben deutschen Röcken und ellenbreiten Hemdkrägen; so saßen die jungen geistlichen Herren im Kollegium; vor sich hatte jeder seine Mappe, einen Stoß Papier, Tinte und Feder, um die Worte der Weisheit gleich ad notam zu nehmen. „O Platon und Sokrates“, dachte ich, „hätten eure Studiosen und Akademiker nachgeschrieben, wie manches Wort tiefer, heiliger Weisheit wäre nicht umsonst verrauscht; wie majestätisch müßten sich die Folianten von Socratis opera in mancher Bibliothek ausnehmen!“

Jetzt wurden alle Häupter entblößt, eine kurze, dicke Gestalt drängte sich durch die Reihen der jungen Herren dem Katheder [229] zu, es war der Doktor Schnatterer, den ich gestern besucht hatte; mit Wonnegefühl schien er die Versammlung zu überschauen, hustete dann etwas weniges und begann:

„Hochachtbare, hochansehnliche (damit meinte er die, welche sechs Thaler Honorar zahlten)!

Wertgeschätzte (die, welche das gewöhnliche Honorar zahlten)!

Meine Herren (das waren die, welche nur die Hälfte oder aus Armut gar nichts entrichteten)!“ und nun hob er seinen Sermon an, die Federn rasselten, das Papier knirschte, er aber schaute herab wie der Mond aus Regenwolken.

Ich hätte zu keiner gelegeneren Zeit diese Vorlesungen besuchen können, denn der Doktor behandelte gerade den Abschnitt „de angelis malis“, worin ich vorzüglich traktiert zu werden hoffen durfte. Wahrhaftig, er ließ mich nicht lange warten: „Der Teufel“, sagte er, „überredete die ersten Menschen zur Sünde und ist noch immer gegen das ganze Menschengeschlecht feindlich gesinnt.“ Nach diesem Satz hoffte ich nun eine philosophische Würdigung dieses Teufelsglaubens zu hören; aber weit gefehlt. Er blieb bei dem ersten Wort Teufel stehen, und daß mich die Juden „Beelzebub“ geheißen hätten. Mit einem Aufwand von Gelehrsamkeit, wie ich sie hinter dem armen Schlafrock nicht gesucht hätte, warf er nun das Wort Beelzebub dreiviertel Stunden lang hin und her. Er behauptete, die einen erklären, es bedeute einen „Fliegenmeister“, der die Mücken aus dem Lande treiben solle, andere nehmen das „Sephub“ nicht von den Mücken, sondern als „Anklage“ wie die Chaldäer und Syrier. Andere erklären „Sephul“ als Grab, Sepulcrum; die Federn schwirrten und flogen, so tiefe Gelehrsamkeit hört man nicht alle Tage. Zu jenen paar Erklärungen hatte er aber volle Dreiviertel Stunden verwendet, denn die Citaten aus heiligen und profanen Skribenten nahmen kein Ende. Von Anfang hatte es mir vielen Spaß gemacht, die Dogmatik auf solche Weise getrieben und namentlich den Satan so gründlich anatomiert zu sehen; aber endlich machte es mir doch Langeweile, und ich wollte schon meinen Platz verlassen, um dem unendlichen Gewäsch zu entfliehen, da ruhte der Doktor einen Augenblick aus, die Schnupftücher wurden gebraucht, die Füße


  1. H. E. G. Paulus (1761–1851), rationalistischer Theolog, Prof. in Heidelberg.
  2. D. i. ein besonders für das Auswerfen von Laufgräben bestimmter Pionier.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 228–229. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_116.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)