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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Ehe drei Wochen vergingen, hatte ich die größere Partie auf meiner Seite. Die Frömmeren schrieen von Anfang über den rohen Geist, der einreiße, gaben zu bemerken, daß wir christliche Bursche seien; aber es half nichts, meine Persiflagen hatten so gute Wirkung gethan, daß sie sich am Ende selbst schämten, in der Kirche gesehen zu werden, und es gehörte zum guten Ton, jeden Sonntag vor der Kirchthür zu sein, aber bis hieher und nicht weiter. Die Wirtshäuser waren gefüllter als je, es wurde viel getrunken, ja es riß die Sitte ein, Wettkämpfe im Trinken zu halten, und man wird es kaum glauben, es gab sogar eigentliche Kunsttrinker!

Es predigte zwar mancher gegen das einreißende Verderben, aber die Altdeutschen trösteten sich damit, daß ihre „Altvordern“ auch durch Trinken exzelliert haben; die Frömmsten ließen sich große Humpen verfertigen und zwangen und mühten sich so lange, bis sie wie Götz von Berlichingen oder gar wie Hermann der Cherusker schlucken konnten. Den Feineren, Gebildeteren war es natürlich vom Anfang auch ein Greuel; ich verwies sie aber auf eine Stelle bei Jean Paul. Er sagt nämlich in seinem unübertrefflichen „Quintus Fixlein“:

„Jerusalem bemerkt schön, daß die Barbarei, die oft hart hinter dem schönsten, buntesten Flor der Wissenschaften aufsteigt, eine Art von stärkendem Schlammbad sei, um die Überfeinerung abzuwenden, mit der jener Flor bedrohe, ich glaube, daß einer, der erwägt, wie weit die Wissenschaften bei einem Studierenden steigen, dem Musensohne ein gewisses barbarisches Mittelalter – das sogenannte Burschenleben – gönnen werde, das ihn wieder so stählt, daß die Verfeinerung nicht über die Grenze geht.“

Wenn ein Meister wie Jean Paul, dem ich hiemit für diese Stelle meinen herzlichen Dank öffentlich sage, also sich ausspricht, was konnten die Kleinmeister und Jünger dagegen? Sie setzten sich auch in die schwarzgerauchte Kneipe, „verschlammten“ sich recht tüchtig in dem „barbarischen Mittelalter“ und hatten kraft ihres inwohnenden Genies meine älteren Zöglinge bald überholt.




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Siebentes Kapitel.
Satan besucht die Kollegien, was er darin lernte?

Indessen ich auf die beschriebene Weise praktisch lebte und leben machte, vergaß ich auch das dic cur hic nicht und legte mich mit Ernst aufs Theoretische. Ich hörte die Philosophen und Theologen, und hospitierte nicht unfleißig bei den Juristen und Medizinern. Ich hatte, um zuerst über die Philosophen zu reden, von einem der hellsten Lichter jener Universität, wenn in der Ferne von ihm die Rede war, oft sagen hören, der Kerl hat den Teufel im Leib. Eine solche geheimnisvolle Tiefe, wollte man behaupten, solche überschwengliche Gedanken, solche Gedrungenheit des Stils, eine so hinreißende Beredsamkeit sei noch nicht gefunden worden in Israel. Ich habe ihn gehört und verwahre mich feierlich vor jenem Urteil, als ob ich in ihm gesessen wäre. Ich habe schon viel ausgestanden in der Welt, ich bin sogar Ev. Matthäi am 8., 31 und 32 in die Säue gefahren, aber in einen solchen Philosophen? – Nein, da wollte ich mich doch bedankt haben.

Was der gute Mann in seinem schläfrigen, unangenehmen Ton vorbrachte, war für seine Zuhörer so gut als französisch für einen Eskimo. Man mußte alles gehörig ins Deutsche übersetzen, ehe man darüber ins klare kam, daß er ebensowenig fliegen könne wie ein anderer Mensch auch. Er aber machte sich groß, weil er aus seinen Schlüssen sich eine himmelhohe Jakobsleiter gezimmert und solche mit mystischem Firnis angepinselt hatte; auf dieser kletterte er nun zum blauen Äther hinan, versprach aus seiner Sonnenhöhe herabzurufen, was er geschaut habe, er stieg und stieg, bis er den Kopf durch die Wolken stieß, blickte hinein in das reine Blau des Himmels, das sich auf dem grünen Grasboden noch viel hübscher ausnimmt als oben, und sah wie Sancho Pansa, als er auf dem hölzernen Pferd zur Sonne ritt, unter sich die Erde so groß wie ein Senfkorn und die Menschen wie Mücken, über sich – nichts.

Sie kommen mir vor, die guten Leute dieser Art, wie die Männer von Babel, die einen großen Leuchtturm bauen wollten

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 224–225. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_114.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)