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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Frau auf den schon etwas verschossenen „Einband seiner gelehrten Seele“ zu ziehen. Daß es aber mit Natas und der Trübenau nicht ganz richtig war, sah ich selbst; von der Schminkgeschichte, die jenen so sehr erboste, wußte ich zwar nichts, aber wer sich auf die Exegese der Augen verstand, hatte keinen weitern Kommentar nötig, um die gegenseitige Annäherung daraus zu erläutern.

Der Professor hatte, in tiefe Gedanken versunken, eine Zeitlang geschwiegen; er erhob jetzt sein Auge durch die Brille an die Decke des Zimmers, wo allerlei Engelein in Gips aufgetragen waren; „Himmel“, seufzte er, „und die Thingen hat er auch; Sie glauben nicht, welcher Reiz in diesem ewig heitern Auge, in diesen Grübchen auf den blühenden Wangen, in dem Schmelz ihrer Zähne, in diesen frischen, zum Kuß geöffneten Lippen, in diesen weichen Armen, in diesen runden, vollen Formen der schwellenden –“

„Herr Professor!“ rief ich, erschrocken über seine Exstase, und schüttelte ihn am Arm ins Leben zurück. „Sie geraten außer sich, Wertester, belieben Sie nicht eine Prise Spaniol?“

„Er hat sie auch“, fuhr er zähneknirschend fort, „haben Sie nicht bemerkt, mit welcher Hast sie vorhin nach seinen Verhältnissen fragte? Wie sie rot ward? Jung, schön, wohlhabend, Witwe, – sie hat alles, um eine angenehme Partie zu machen; geistreiche Männer von Ruf in der litterarischen Welt buhlen um ihre Gunst, sie wirft sie an einen – Landstreicher hin; ach, wenn Sie wüßten, bester Doktor, was mir neulich der Oberkellner, aber mit der größten Diskretion, daß man ihn vorgestern nachts aus ihrem Zimmer …“

„Ich bitte, verschonen Sie mich“, fiel ich ein, „gestehen Sie mir lieber, ob der Wundermensch Sie selbst noch nicht unter den Pantoffel gebracht hat.“

„Das ist es eben“, antwortete der Befragte verlegen lächelnd, „das ist es, was mir Kummer macht. Sie wissen, ich lese über Chemie; er brachte einmal das Gespräch darauf und entwickelte so tiefe Kenntnisse, deckte so neue und kühne Ideen auf, daß mir der Kopf schwindelte; ich möchte ihm um den Hals fallen und um seine Hefte und Notizen bitten, es zieht mich mit unwiderstehlicher [203] Geisterkraft in seine Nähe, und doch könnte ich ihm mit Freuden Gift beibringen.“

Wie komisch war die Wut dieses Mannes, er ballte die Faust und fuhr damit hin und her, seine grünen Brillengläser funkelten wie Katzenaugen, sein kurzes, schwarzes Haar schien sich in die Höhe zu richten.

Ich suchte ihn zu besänftigen; ich stellte ihm vor, daß er ja nicht ärger losziehen könnte, wenn der Fremde der Teufel selbst wäre; aber er ließ mich nicht zum Worte kommen.

„Er ist es, der Satan selbst logiert hier in den drei Reichskronen“, rief er, „um unsere Seelen zu angeln. Ja, du bist ein guter Fischer und hast eine feine Nase, aber ein …r Professor, wie ich, der sogar in demagogischen Untersuchungen die Lunte gleich gerochen und eigens deswegen hieher nach Mainz gereist ist, ein solcher hat noch eine feinere als du.“

Ein heiseres Lachen, das gerade hinter meinem Rücken zu entstehen schien, zog meine Aufmerksamkeit auf sich; ich wandte mich um und glaubte, Natas höhnisch durch die Scheiben hereingrinsen zu sehen. Ich ergriff den Professor am Arm, um ihm die sonderbare Erscheinung zu zeigen, denn das Zimmer lag einen Stock hoch; dieser aber hatte weder das Lachen gehört, noch konnte er meine Erscheinung sehen; denn als er sich umwandte, sah nur die bleiche Scheibe des Mondes durch die Fenster dort, wo ich vorhin das greulich verzerrte Gesicht des geheimnisvollen Fremdlings zu sehen geglaubt hatte.

Ehe ich noch recht mit mir einig war, ob das, was ich gesehen, Betrug der Sinne, Ausgeburt einer aufgeregten Phantasie oder Wirklichkeit war, ward die Thüre aufgerissen, und Herr von Natas trat stolzen Schrittes in das Zimmer. Mit sonderbarem Lächeln maß er die Gesellschaft, als wisse er ganz gut, was von ihm gesprochen worden sei, und ich glaubte zu bemerken, daß keiner der Anwesenden seinen forschenden Blick auszuhalten vermochte.

Mit der ihm so eigenen Leichtigkeit hatte er der Trübenau gegenüber, neben der Frau von Thingen, Platz genommen und die Leitung der Konversation an sich gerissen. Das böse Gewissen ließ den Professor nicht an den Tisch sitzen, mich selbst fesselte das

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 202–203. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_103.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)