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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

als der Oberjustizrat aufstand und sich auch die übrigen Gäste erwartungsvoll erhoben, war er nirgends mehr zu sehen.

Der Oberjustizrat stellte sich ans Fenster, wir alle folgten seinem Beispiele und beobachteten ihn. Das Haus gegenüber schien öde und unbewohnt; auf der Thürschwelle sproßte Gras, die Jalousien waren geschlossen, zwischen einigen schienen sich Vögel eingebaut zu haben.

‚Ein hübsches Haus da drüben‘, begann der Alte zu dem Wirt, der immer in der dritten Stellung hinter ihm stand. ‚Wem gehört es?‘ – ‚Dem Oberjustizrat Hasentreffer, Eurer Exzellenz aufzuwarten.‘

‚Ei, das ist wohl der nämliche, der mit mir studiert hat?‘ rief er aus; ‚der würde mir es nie verzeihen, wenn ich ihm nicht meine Anwesenheit kundthäte.‘ Er riß das Fenster auf, ‚Hasentreffer – Hasentreffer‘, schrie er mit heiserer Stimme hinaus. – Aber wer beschreibt unsern Schrecken, als gegenüber in dem öden Haus, das wir wohl verschlossen und verriegelt wußten, ein Fensterladen langsam sich öffnete, ein Fenster that sich auf, und heraus schaute der Oberjustizrat Hasentreffer im zitzenen Schlafrock und der weißen Mütze, unter welcher wenige graue Löckchen hervorquollen; so, gerade so pflegte er sich zu Hause zu tragen. Bis auf das kleinste Fältchen des bleichen Gesichtes war der gegenüber der nämliche wie der, der bei uns stand. Aber Entsetzen ergriff uns, als der im Schlafrock mit derselben heiseren Stimme über die Straße herüberrief: ‚Was will man, wem ruft man? he!‘

‚Sind Sie der Herr Oberjustizrat Hasentreffer?‘ rief der auf unserer Seite, bleich wie der Tod, mit zitternder Stimme, indem er sich bebend am Fenster hielt.

‚Der bin ich‘, kreischte jener und nickte freundlich grinsend mit dem Kopfe; ‚steht etwas zu Befehl?‘

‚Ich bin er ja auch‘, rief der auf unserer Seite wehmütig, ‚wie ist denn dies möglich?‘

‚Sie irren sich, Wertester‘, schrie jener herüber, ‚Sie sind der Dreizehnte; kommen Sie nur ein wenig herüber in meine Behausung, daß ich Ihnen den Hals umdrehe; es thut nicht weh.‘

[197] ‚Kellner, Stock und Hut!‘ rief der Oberjustizrat, matt bis zum Tod, und die Stimme schlich ihm in kläglichen Tönen aus der hohlen Brust herauf. ‚In meinem Haus ist der Satan und will meine Seele; – vergnügten Abend, meine Herrn‘, setzte er hinzu, indem er sich mit einem freundlichen Bückling zu uns wandte und dann den Saal verließ.

‚Was war das?‘ fragten wir uns, ‚sind wir alle wahnsinnig?‘

Der im Schlafrock schaute noch immer ganz ruhig zum Fenster hinaus, während unser gutes altes Närrchen in steifen Schritten über die Straße stieg. An der Hausthüre zog er einen großen Schlüsselbund aus der Tasche, riegelte – der im Schlafrock sah ihm ganz gleichgültig zu – riegelte die schwere, knarrende Hausthüre auf und trat ein.

Jetzt zog sich auch der andere vom Fenster zurück, man sah, wie er dem unsrigen an die Zimmerthüre entgegenging.

Unser Wirt, die zehn Kellner waren alle bleich von Entsetzen und zitterten: ‚Meine Herren‘, sagte jener, ‚Gott sei dem armen Hasentreffer gnädig, denn einer von beiden war der Leibhaftige.‘ – Wir lachten den Wirt aus und wollten uns selbst bereden, daß es ein Scherz von Barighi sei, aber der Wirt versicherte, es habe niemand in das Haus gehen können, außer mit den überaus künstlichen Schlüsseln des Rats, Barighi sei zehn Minuten, ehe das Gräßliche geschehen, noch an der Tafel gesessen, wie hätte er denn in so kurzer Zeit die täuschende Maske anziehen können, vorausgesetzt auch, er hätte sich das fremde Haus zu öffnen gewußt. Die beiden seien aber einander so greulich ähnlich gewesen, daß er, ein zwanzigjähriger Nachbar, den echten nicht hätte unterscheiden können. ‚Aber um Gotteswillen, meine Herrn, hören Sie nicht das gräßliche Geschrei da drüben?‘

Wir sprangen ans Fenster, schreckliche trauervolle Stimmen tönten aus dem öden Hause herüber, einigemal war es uns, als sehen wir unsern alten Oberjustizrat, verfolgt von seinem Ebenbild im Schlafrock, am Fenster vorbeijagen. Plötzlich aber war alles still.

Wir sahen einander an; der Beherzteste machte den Vorschlag hinüberzugehen; alle stimmten überein. Man zog über

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 196–197. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_100.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)