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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

seine geistreiche Unterhaltung die Tafel gewürzt, als uns einmal der Wirt des Gasthofs unterbrach: ‚Meine Herren‘, sagte der Höfliche, ‚bereiten Sie sich auf eine köstliche Unterhaltung, die Ihnen morgen zu teil werden wird, vor; der Herr Oberjustizrat Hasentreffer zog heute aus, und zieht morgen ein.‘

Wir fragten, was dies zu bedeuten habe, und ein alter grauer Hauptmann, der schon seit vielen Jahren den obersten Platz in diesem Gasthof behauptete, teilte uns den Schwank mit: ‚Gerade dem Speisesaal gegenüber wohnt ein alter Junggeselle einsam in einem großen öden Haus; er ist Oberjustizrat außer Dienst, lebt von einer anständigen Pension und soll überdies ein enormes Vermögen besitzen.

Derselbe ist aber ein kompletter Narr und hat ganz eigene Gewohnheiten, wie z. B., daß er sich selbst oft große Gesellschaft gibt, wobei es immer flott hergeht. Er läßt zwölf Kouverts aus dem Wirtshaus kommen, feine Weine hat er im Keller, und einer oder der andere unsrer Markeurs hat die Ehre zu servieren. Man denkt vielleicht, er hat allerlei hungrige oder durstige Menschen bei sich? Mit nichten! alte, gelbe Stammbuchblätter, auf jedem ein großes Kreuz, liegen auf den Stühlen, dem alten Kauz ist aber so wohl, als wenn er unter den lustigsten Kameraden wäre; er spricht und lacht mit ihnen, und das Ding soll so greulich anzusehen sein, daß man immer die neuen Kellner dazu braucht, denn wer einmal bei einem solchen Souper war, geht nicht mehr in das öde Haus.

Vorgestern war wieder ein Souper, und unser neuer Franz dort schwört Himmel und Erde, ihn bringe keine Seele mehr hinüber. Den andern Tag nach dem Gastmahl kommt dann die zweite Sonderbarkeit des Oberjustizrats. Er fährt morgens früh aus der Stadt und kehrt erst den andern Morgen zurück, nicht aber in sein Haus, das um diese Zeit fest verriegelt und verschlossen ist, sondern hierher ins Wirtshaus.

Da thut er dann ganz fremd gegen Leute, welche er das ganze Jahr täglich sieht, speist zu Mittag und stellt sich nachher an ein Fenster und betrachtet sein Haus gegenüber von oben bis unten.

[195] Wem gehört das Haus da drüben? fragt er dann den Wirt.

Pflichtmäßig bückt sich dieser jedesmal und antwortet: Dem Herrn Oberjustizrat Hasentreffer, Ew. Exzellenz aufzuwarten.‘“

„Aber Herr Professor, wie hängt denn Ihr toller Hasentreffer mit unserem Natas zusammen?“ fragte ich.

„Belieben Sie sich doch zu gedulden, Herr Doktor“, antwortete jener, „es wird Ihnen gleich wie ein Licht aufgehen. Der Hasentreffer beschaut also das Haus und erfährt, daß es dem Hasentreffer gehöre. ‚Ach! derselbe, der in Tübingen zu meiner Zeit studierte?‘ fragt er dann, reißt das Fenster auf, streckt den gepuderten Kopf hinaus und schreit Ha–a–asentreffer – Ha–a–asentreffer.

Natürlich antwortet niemand, er aber sagt dann, ‚der Alte würde es mir nie vergessen, wenn ich nicht bei ihm einkehrte‘, nimmt Hut und Stock, schließt sein eigenes Haus auf, und so geht es nach wie vor.

„Wir alle“, fuhr der Professor in seiner Erzählung fort, „waren sehr erstaunt über diese sonderbare Erscheinung und freuten uns königlich auf den morgenden Spaß. Herr Barighi aber nahm uns das Versprechen ab, ihn nicht verraten zu wollen, indem er einen köstlichen Scherz mit dem Oberjustizrat vorhabe.

Früher als gewöhnlich versammelten wir uns an der Wirtstafel und belagerten die Fenster. Eine alte baufällige Chaise wurde von zwei alten Kleppern die Straße herangeschleppt, sie hielt vor dem Wirtshaus; das ist der Hasentreffer, der Hasentreffer, tönte es von aller Mund, und eine ganz besondere Fröhlichkeit bemächtigte sich unser, als wir das Männlein zierlich gepudert, mit einem stahlgrauen Röcklein angethan, ein mächtiges Meerrohr in der Hand, aussteigen sahen. Ein Schwanz von wenigstens zehn Kellnern schloß sich ihm an; so gelangte er ins Speisezimmer.

Man schritt sogleich zur Tafel; ich habe selten so viel gelacht als damals, denn mit der größten Kaltblütigkeit behauptete der Alte, geradenweges aus Kassel zu kommen und vor sechs Tagen in Frankfurt im Schwanen recht gut logiert zu haben. Schon vor dem Dessert mußte Barighi verschwunden sein, denn

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 194–195. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_099.jpg&oldid=- (Version vom 7.3.2024)