Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 096.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Hatte dieser Mann schon vorher meine Neugierde erregt, so wurde er mir jetzt um so interessanter, da ich ihn in der Nähe sah.

Das Gesicht war schön, aber bleich, Haar, Auge und der volle Bart von glänzendem Schwarz, die weißen Zähne, von den feingespaltenen Lippen oft enthüllt, wetteiferten mit dem Schnee der blendend weißen Wäsche. War er alt? war er jung? man konnte es nicht bestimmen; denn bald schien sein Gesicht mit seinem pikanten Lächeln, das ganz leise in dem Mundwinkel anfängt und wie ein Wölkchen um die feingebogene Nase zu dem mutwilligen Auge hinaufzieht, früh gereifte und unter dem Sturm der Leidenschaften verblühte Jugend zu verraten; bald glaubte man einen Mann von schon vorgerückten Jahren vor sich zu haben, der durch eifriges Studium einer reichen Toilette sich zu konservieren weiß.

Es gibt Köpfe, Gesichter, die nur zu einer Körperform passen und sonst zu keiner andern. Man werfe mir nicht vor, daß es Sinnentäuschung seie, daß das Auge sich schon zu sehr an diese Form, wie sie die Natur gegeben, gewöhnt habe, als daß es sich eine andere Mischung denken könnte. Dieser Kopf konnte nie auf einem untersetzten, wohlbeleibten Körper sitzen, er durfte nur die Krone einer hohen, schlanken, zartgebauten Gestalt sein. So war es auch, und die gedankenschnelle Bewegung der Gesichtsmuskeln, wie sie in leichtem Spott um den Mund, im tiefen Ernst um die hohe Stirne spielen, drückte sich auch in dem Körper durch die würdige, aber bequeme Haltung, durch die schnelle, runde, beinahe zierliche Bewegung der Arme, überhaupt in dem leichten, königlichen Anstande des Mannes aus.

So war Herr von Natas, der mir gegenüber an der Abendtafel saß. Ich hatte während der ersten Gänge Muße genug, diese Bemerkungen zu machen, ohne dem interessanten Vis-a-vis durch neugieriges Anstarren beschwerlich zu fallen. Der neue Gast schien übrigens noch mehrere Beobachtungen zu veranlassen, denn von dem obern Ende der Tafel waren diesen Abend die Brillen mehrerer Damen in immerwährender Bewegung, mich und meine Nachbarn hatten sie über dem Mittagessen höchstens mit bloßem Auge gemustert.

[189] Das Dessert wurde aufgetragen, der Direktor der vorzüglichen Tafelmusik ging umher, seinen wohlverdienten Lohn einzusammeln. Er kam an den Fremden. Dieser warf einen Thaler unter die kleine Münzensammlung und flüsterte dem überraschten Sammler etwas in’s Ohr. Mit drei tiefen Bücklingen schien dieser zu bejahen und zu versprechen und schritt eilig zu seiner Kapelle zurück. Die Instrumente wurden aufs neue gestimmt.

Ich war gespannt, was jener wohl gewählt haben könnte; der Direktor gab das Zeichen, und gleich in den ersten Takten erkannte ich die herrliche Polonäse von Osinsky[1], der Fremde lehnte sich nachlässig in seinen Stuhl zurück, er schien nur der Musik zu gehören; aber bald bemerkte ich, daß das dunkle Auge unter den langen schwarzen Wimpern rastlos umherlief, – es war offenbar, er musterte die Gesichter der Anwesenden und den Eindruck, den die herrliche Polonäse auf sie machte.

Wahrlich! dieser Zug schien mir einen geübten Menschenkenner zu verraten. Zwar wäre der Schluß unrichtig, den man sich aus der wärmern oder kältern Teilnahme an dem Reich der Töne auf die größere oder geringere Empfänglichkeit des Gemüts für das Schöne und Edle ziehen wollte; heult ja doch auch selbst der Hund bei den sanften Tönen der Flöte, das Pferd dagegen spitzt die Ohren bei dem mutigen Schmettern der Trompeten, stolzer hebt es den Nacken, und sein Tritt ist fester und straffer.

Aber dennoch konnte man nichts Unterhaltenderes sehen als die Gesichter der verschiedenen Personen bei den schönsten Stellen des Stückes; ich machte dem Fremden mein Kompliment über die glückliche Wahl dieser Musik, und schnell hatte sich zwischen uns ein Gespräch über die Wirkung der Musik auf diese oder jene Charaktere entsponnen.

Die übrigen Gäste hatten sich indessen verlaufen, nur einige, die in der Ferne auf unser Gespräch gelauscht hatten, rückten nach und nach näher. Mitternacht war herangekommen, ohne daß ich wußte, wie, denn der Fremde hatte uns so tief in alle Verhältnisse

  1. Gemeint ist auf jeden Fall der frühere Gesandte und spätere Senator Polens, Michael Kleophas Oginski (1765–1833), der sich als Komponist besonders durch seine Polonäsen auszeichnete.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 188–189. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_096.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)