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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

von lauterem Golde und mit großen Amethysten ausgelegt. Die vier vornehmsten Emire[1] hielten einen Baldachin von roter Seide über dem Haupte der Sultanin, und der Scheich von Medina fächelte ihr mit einer Windfuchtel von Pfaufedern Kühlung zu.

So erwartete die Sultanin ihren Gemahl und ihren Sohn; auch sie hatte ihn seit seiner Geburt nicht mehr gesehen; aber bedeutsame Träume hatten ihr den Ersehnten gezeigt, daß sie ihn aus Tausenden erkennen wollte. Jetzt hörte man das Geräusch des nahenden Zuges, Trompeten und Trommeln mischten sich in das Zujauchzen der Menge, der Hufschlag der Rosse tönte im Hof des Palastes, näher und näher rauschten die Tritte der Kommenden, die Thüren des Saales flogen auf, und durch die Reihen der niederfallenden Diener eilte der Sultan an der Hand seines Sohnes vor den Thron der Mutter.

„Hier“, sprach er, „bringe ich dir den, nach welchem du dich so lange gesehnet.“

Die Sultanin aber fiel ihm in die Rede: „Das ist mein Sohn nicht!“ rief sie aus. „Das sind nicht die Züge, die mir der Prophet im Traume gezeigt hat!“

Gerade, als ihr der Sultan ihren Aberglauben verweisen wollte, sprang die Thüre des Saales auf. Prinz Omar stürzte herein, verfolgt von seinen Wächtern, denen er sich mit Anstrengung aller seiner Kräfte entrissen hatte; er warf sich atemlos vor dem Throne nieder: „Hier will ich sterben, laß mich töten, grausamer Vater! denn diese Schmach dulde ich nicht länger!“ Alles war bestürzt über diese Reden; man drängte sich um den Unglücklichen her, und schon wollten ihn die herbeieilenden Wachen ergreifen und ihm wieder seine Bande anlegen, als die Sultanin, die in sprachlosem Erstaunen dieses alles mit angesehen hatte, von dem Throne aufsprang: „Haltet ein!“ rief sie „dieser und kein anderer ist der Rechte! Dieser ist’s, den meine Augen nie gesehen und den mein Herz doch gekannt hat!“

Die Wächter hatten unwillkürlich von Omar abgelassen; [159] aber der Sultan, entflammt von wütendem Zorn, rief ihnen zu, den Wahnsinnigen zu binden. „Ich habe hier zu entscheiden“, sprach er mit gebietender Stimme; „und hier richtet man nicht nach den Träumen der Weiber, sondern nach gewissen, untrüglichen Zeichen. Dieser hier (indem er auf Labakan zeigte) ist mein Sohn; denn er hat mir das Wahrzeichen meines Freundes Elfi, den Dolch, gebracht.“

„Gestohlen hat er ihn“, schrie Omar, „mein argloses Vertrauen hat er zum Verrat mißbraucht!“ Der Sultan aber hörte nicht auf die Stimme seines Sohnes; denn er war in allen Dingen gewohnt, eigensinnig nur seinem Urteil zu folgen; daher ließ er den unglücklichen Omar mit Gewalt aus dem Saal schleppen. Er selbst aber begab sich mit Labakan in sein Gemach, voll Wut über die Sultanin, seine Gemahlin, mit der er doch seit fünfundzwanzig Jahren im Frieden gelebt hatte.

Die Sultanin aber war voll Kummer über diese Begebenheiten; sie war vollkommen überzeugt, daß ein Betrüger sich des Herzens des Sultans bemächtigt hatte; denn jenen Unglücklichen hatten ihr so viele bedeutsame Träume als ihren Sohn gezeigt.

Als sich ihr Schmerz ein wenig gelegt hatte, sann sie auf Mittel, um ihren Gemahl von seinem Unrecht zu überzeugen. Es war dies allerdings schwierig; denn jener, der sich für ihren Sohn ausgab, hatte das Erkennungszeichen, den Dolch, überreicht und hatte auch, wie sie erfuhr, so viel von Omars früherem Leben von diesem selbst sich erzählen lassen, daß er seine Rolle, ohne sich zu verraten, spielte.

Sie berief die Männer zu sich, die den Sultan zu der Säule El-Serujah begleitet hatten, um sich alles genau erzählen zu lassen, und hielt dann mit ihren vertrautesten Sklavinnen Rat. Sie wählten und verwarfen dies und jenes Mittel; endlich sprach Melechsalah, eine alte, kluge Zierkassierin[2]: „Wenn ich recht gehört habe, verehrte Gebieterin, so nannte der Überbringer des Dolches den, welchen du für deinen Sohn hältst, Labakan, einen verwirrten


  1. Emir, arabischer Herrscher, ist der Titel aller unabhängigen Stammeshäuptlinge im Orient sowie aller Nachkommen Mohammeds von seiner Tochter Fatime.
  2. S. v. w. Tscherkessin.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 158–159. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_081.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)