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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

mich in ganz Florenz für einen Wahnsinnigen hielt. Doch die Meinung der Leute war mir gleichgültig; ich wußte es ja besser als sie, daß ich an dem Handel noch gewann.

Mit Ungeduld erwartete ich die Nacht. Um dieselbe Zeit wie gestern ging ich, den Mantel unter dem Arm, auf die Ponte vecchio. Mit dem letzten Glockenschlag kam die Gestalt aus der Nacht heraus auf mich zu. Es war unverkennbar der Mann von gestern. „Hast du den Mantel?“ wurde ich gefragt. „Ja, Herr“, antwortete ich, „aber er kostete mich bar hundert Zechinen.“ – „Ich weiß es“, entgegnete jener. „Schau’ auf, hier sind vierhundert.“ Er trat mit mir an das breite Geländer der Brücke und zählte die Goldstücke hin. Vierhundert waren es; prächtig blitzten sie im Mondschein, ihr Glanz erfreute mein Herz, ach! es ahnete nicht, daß es seine letzte Freude sein werde. Ich steckte mein Geld in die Tasche und wollte mir nun auch den gütigen Unbekannten recht betrachten; aber er hatte eine Larve vor dem Gesicht, aus der mich dunkle Augen furchtbar anblitzten. „Ich danke Euch Herr, für Eure Güte“, sprach ich zu ihm, „was verlangt Ihr jetzt von mir? Das sage ich Euch aber vorher, daß es nichts Unrechtes sein darf.“ – „Unnötige Sorge“, antwortete er, indem er den Mantel um die Schultern legte; „ich bedarf Eurer Hülfe als Arzt; doch nicht für einen Lebenden, sondern für einen Toten.“

„Wie kann das sein?“ rief ich voll Verwunderung.

„Ich kam mit meiner Schwester aus fernen Landen“, erzählte er und winkte mir zugleich, ihm zu folgen; „ich wohnte hier mit ihr bei einem Freund meines Hauses. Meine Schwester starb gestern schnell an einer Krankheit, und die Verwandten wollen sie morgen begraben. Nach einer alten Sitte unserer Familie aber sollen alle in der Gruft der Väter ruhen; viele, die in fremdem Lande starben, ruhen dennoch dort einbalsamiert. Meinen Verwandten gönne ich nun ihren Körper; meinem Vater aber muß ich wenigstens den Kopf seiner Tochter bringen, damit er sie noch einmal sehe.“ Diese Sitte, die Köpfe geliebter Anverwandten abzuschneiden, kam mir zwar etwas schrecklich vor; doch wagte ich nichts dagegen einzuwenden, aus Furcht, den Unbekannten zu beleidigen. Ich sagte ihm daher, daß ich mit dem Einbalsamieren [103] der Toten wohl umgehen könne, und bat ihn, mich zu der Verstorbenen zu führen. Doch konnte ich mich nicht enthalten, zu fragen, warum denn dies alles so geheimnisvoll und in der Nacht geschehen müsse? Er antwortete mir, daß seine Verwandten, die seine Absicht für grausam halten, bei Tage ihn abhalten würden; sei aber nur erst einmal der Kopf abgenommen, so können sie wenig mehr darüber sagen; er hätte mir zwar den Kopf bringen können, aber ein natürliches Gefühl halte ihn ab, ihn selbst abzunehmen.

Wir waren indes bis an ein großes, prachtvolles Haus gekommen. Mein Begleiter zeigte es mir als das Ziel unseres nächtlichen Spaziergangs. Wir gingen an dem Hauptthor des Hauses vorbei, traten in eine kleine Pforte, die der Unbekannte sorgfältig hinter sich zumachte, und stiegen nun im Finstern eine enge Wendeltreppe hinan. Sie führte in einen spärlich erleuchteten Gang, aus welchem wir in ein Zimmer gelangten, das eine Lampe, die an der Decke befestigt war, erleuchtete.

In diesem Gemach stand ein Bett, in welchem der Leichnam lag. Der Unbekannte wandte sein Gesicht ab und schien Thränen verbergen zu wollen. Er deutete nach dem Bett, befahl mir, mein Geschäft gut und schnell zu verrichten, und ging wieder zur Thüre hinaus.

Ich packte meine Messer, die ich als Arzt immer bei mir führte, aus und näherte mich dem Bett. Nur der Kopf war von der Leiche sichtbar; aber dieser war so schön, daß mich unwillkürlich das innigste Mitleiden ergriff. In langen Flechten hing das dunkle Haar herab, das Gesicht war bleich, die Augen geschlossen. Ich machte zuerst einen Einschnitt in die Haut, nach der Weise der Ärzte, wenn sie ein Glied abschneiden. Sodann nahm ich mein schärfstes Messer und schnitt mit Einem Zug die Kehle durch. Aber welcher Schrecken! Die Tote schlug die Augen auf, schloß sie aber gleich wieder, und in einem tiefen Seufzer schien sie jetzt erst ihr Leben auszuhauchen. Zugleich schoß mir ein Strahl heißen Blutes aus der Wunde entgegen. Ich überzeugte mich, daß ich erst die Arme getötet hatte. Denn daß sie tot sei, war kein Zweifel, da es von dieser Wunde keine Rettung gab. Ich stand

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 102–103. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_053.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)