Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 042.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Die Eule hatte geendet und wischte sich mit dem Flügel wieder die Augen aus; denn die Erzählung ihrer Leiden hatte ihr Thränen entlockt.

Der Kalif war bei der Erzählung der Prinzessin in tiefes Nachdenken versunken. „Wenn mich nicht alles täuscht“, sprach er, „so findet zwischen unserem Unglück ein geheimer Zusammenhang statt; aber wo finde ich den Schlüssel zu diesem Rätsel?“ Die Eule antwortete ihm: „O Herr! auch mir ahnet dies; denn es ist mir einst in meiner frühesten Jugend von einer weisen Frau prophezeit worden, daß ein Storch mir ein großes Glück bringen werde, und ich wüßte vielleicht, wie wir uns retten könnten.“ Der Kalif war sehr erstaunt und fragte, auf welchem Wege sie meine. „Der Zauberer, der uns beide unglücklich gemacht hat“, sagte sie, „kommt alle Monate einmal in diese Ruinen. Nicht weit von diesem Gemach ist ein Saal. Dort pflegt er dann mit vielen Genossen zu schmausen. Schon oft habe ich sie dort belauscht. Sie erzählen dann einander ihre schändlichen Werke; vielleicht, daß er dann das Zauberwort, das Ihr vergessen habt, ausspricht.“

„Oh, teuerste Prinzessin“, rief der Kalif, „sag’ an, wann kommt er, und wo ist der Saal?“

Die Eule schwieg einen Augenblick, und sprach dann; „Nehmet es nicht ungütig, aber nur unter einer Bedingung kann ich Euern Wunsch erfüllen.“ – „Sprich aus! Sprich aus!“ schrie Chasid. „Befiehl, es ist mir jede recht.“

„Nämlich, ich möchte auch gerne zugleich frei sein; dies kann aber nur geschehen, wenn einer von euch mir seine Hand reicht.“

Die Störche schienen über den Antrag etwas betroffen zu sein, und der Kalif winkte seinem Diener, ein wenig mit ihm hinauszugehen.

„Großwesir“, sprach vor der Thüre der Kalif, „das ist ein dummer Handel; aber Ihr könntet sie schon nehmen.“

„So?“ antwortete dieser, „daß mir meine Frau, wenn ich nach Haus komme, die Augen auskratzt? Auch bin ich ein alter Mann, und Ihr seid noch jung und unverheiratet und könnet eher einer jungen, schönen Prinzeß die Hand geben.“

[81] „Das ist es eben“, seufzte der Kalif, indem er traurig die Flügel hängen ließ, „wer sagt dir denn, daß sie jung und schön ist? Das heißt eine Katze im Sack kaufen!“

Sie redeten einander gegenseitig noch lange zu; endlich aber, als der Kalif sah, daß sein Wesir lieber Storch bleiben als die Eule heiraten wollte, entschloß er sich, die Bedingung lieber selbst zu erfüllen. Die Eule war hocherfreut. Sie gestand ihnen, daß sie zu keiner bessern Zeit hätten kommen können, weil wahrscheinlich in dieser Nacht die Zauberer sich versammeln würden.

Sie verließ mit den Störchen das Gemach, um sie in jenen Saal zu führen; sie gingen lange in einem finstern Gang hin; endlich strahlte ihnen aus einer halb verfallenen Mauer ein heller Schein entgegen. Als sie dort angelangt waren, riet ihnen die Eule, sich ganz ruhig zu verhalten. Sie konnten von der Lücke, an welcher sie standen, einen großen Saal übersehen. Er war ringsum mit Säulen geschmückt und prachtvoll verziert. Viele farbige Lampen ersetzten das Licht des Tages. In der Mitte des Saales stand ein runder Tisch, mit vielen und ausgesuchten Speisen besetzt. Rings um den Tisch zog sich ein Sofa, auf welchem acht Männer saßen. In einem dieser Männer erkannten die Störche jenen Krämer wieder, der ihnen das Zauberpulver verkauft hatte. Sein Nebensitzer forderte ihn auf, ihnen seine neuesten Thaten zu erzählen. Er erzählte unter andern auch die Geschichte des Kalifen und seines Wesirs.

„Was für ein Wort hast du ihnen denn aufgegeben?“ fragte ihn ein anderer Zauberer. „Ein recht schweres lateinisches, es heißt Mutabor.“


V.

Als die Störche an ihrer Mauerlücke dieses hörten, kamen sie vor Freuden beinahe außer sich. Sie liefen auf ihren langen Füßen so schnell dem Thor der Ruine zu, daß die Eule kaum folgen konnte. Dort sprach der Kalif gerührt zu der Eule: „Retterin meines Lebens und des Lebens meines Freundes, nimm zum ewigen Dank für das, was du an uns gethan, mich zum Gemahl an!“ Dann aber wandte er sich nach Osten. Dreimal

Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 80–81. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_042.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)