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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

freut mich, wenn euch der Vorschlag behagt“, sprach Selim; „damit ihr aber sehet, daß ich nichts Unbilliges verlange, so will ich den Anfang machen.“

Vergnügt rückten die fünf Kaufleute näher zusammen und ließen den Fremden in ihre Mitte sitzen. Die Sklaven schenkten die Becher wieder voll, stopften die Pfeifen ihrer Herren frisch und brachten glühende Kohlen zum Anzünden. Selim aber erfrischte seine Stimme mit einem tüchtigen Zuge Sorbet, strich den langen Bart über dem Mund weg und sprach: „So hört denn die Geschichte von Kalif Storch.“


Die Geschichte von Kalif Storch.
I.

Der Kalif Chasid zu Bagdad saß einmal an einem schönen Nachmittag behaglich auf seinem Sofa; er hatte ein wenig geschlafen, denn es war ein heißer Tag, und sah nun nach seinem Schläfchen recht heiter aus. Er rauchte aus einer langen Pfeife von Rosenholz, trank hie und da ein wenig Kaffee, den ihm ein Sklave einschenkte, und strich sich allemal vergnügt den Bart, wenn es ihm geschmeckt hatte. Kurz, man sah dem Kalifen an, daß es ihm recht wohl war. Um diese Stunde konnte man gar gut mit ihm reden; weil er da immer recht mild und leutselig war, deswegen besuchte ihn auch sein Großwesir Mansor alle Tage um diese Zeit. An diesem Nachmittag nun kam er auch, sah aber sehr nachdenklich aus, ganz gegen seine Gewohnheit. Der Kalif that die Pfeife ein wenig aus dem Mund und sprach: „Warum machst du ein so nachdenkliches Gesicht, Großwesir?“

Der Großwesir schlug seine Arme kreuzweis über die Brust, verneigte sich vor seinem Herrn und antwortete: „Herr, ob ich ein nachdenkliches Gesicht mache, weiß ich nicht; aber da drunten am Schloß steht ein Krämer, der hat so schöne Sachen, daß es mich ärgert, nicht viel überflüssiges Geld zu haben.“

Der Kalif, der seinem Großwesir schon lange gern eine Freude gemacht hätte, schickte seinen schwarzen Sklaven hinunter, um den [73] Krämer heraufzuholen. Bald kam der Sklave mit dem Krämer zurück. Dieser war ein kleiner, dicker Mann, schwarzbraun im Gesicht und in zerlumptem Anzug. Er trug einen Kasten, in welchem er allerhand Waren hatte, Perlen und Ringe, reichbeschlagene Pistolen, Becher und Kämme. Der Kalif und sein Wesir musterten alles durch, und der Kalif kaufte endlich für sich und Mansor schöne Pistolen, für die Frau des Wesirs aber einen Kamm. Als der Krämer seinen Kasten schon wieder zumachen wollte, sah der Kalif eine kleine Schublade und fragte, ob da auch noch Waren seien. Der Krämer zog die Schublade heraus und zeigte darin eine Dose mit schwärzlichem Pulver und ein Papier mit sonderbarer Schrift, die weder der Kalife noch Mansor lesen konnten. „Ich bekam einmal diese zwei Stücke von einem Kaufmann, der sie in Mekka auf der Straße fand“, sagte der Krämer. „Ich weiß nicht, was sie enthalten; Euch stehen sie um geringen Preis zu Dienst, ich kann doch nichts damit anfangen.“ Der Kalif, der in seiner Bibliothek gerne alte Manuskripte hatte, wenn er sie auch nicht lesen konnte, kaufte Schrift und Dose und entließ den Krämer. Der Kalif aber dachte, er möchte gerne wissen, was die Schrift enthalte, und fragte den Wesir, ob er keinen kenne, der es entziffern könnte. „Gnädigster Herr und Gebieter“, antwortete dieser, „an der großen Moschee wohnt ein Mann, er heißt Selim der Gelehrte, der versteht alle Sprachen. Laß’ ihn kommen! Vielleicht kennt er diese geheimnisvollen Züge.“

Der gelehrte Selim war bald herbeigeholt. „Selim“, sprach zu ihm der Kalif, „Selim, man sagt du seiest sehr gelehrt; guck’ einmal ein wenig in diese Schrift, ob du sie lesen kannst; kannst du sie lesen, so bekommst du ein neues Festkleid von mir, kannst du es nicht, so bekommst du zwölf Backenstreiche und fünfundzwanzig auf die Fußsohlen, weil man dich dann umsonst Selim den Gelehrten nennt.“ Selim verneigte sich und sprach: „Dein Wille geschehe, o Herr!“ Lange betrachtete er die Schrift; plötzlich aber rief er aus: „Das ist lateinisch, o Herr, oder ich laß’ mich hängen.“ – „Sag’, was drin steht“, befahl der Kalif, „wenn es lateinisch ist.“

Selim fing an zu übersetzen: „Mensch, der du dieses findest,


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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 72–73. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_038.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)