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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

den Chorus leise, leise mit, und Freude und Stolz blickte aus den Augen der Apostel. Und als ich geendet, drängten sie sich zu, drückten mir die Hände, und Andreas hauchte einen Kuß auf meine Lippen.

„Doktor!“ rief Bacchus, „Doktor, welch ein Lied! wie geht einem da das Herz auf. Herzens-Doktor, hast du das Lied gedichtet in deinem eigenen graduierten Gehirn?“

„Nein, Euer Exzellenz, solch ein Meister des Gesanges bin ich nicht. Aber den, der es gedichtet, haben sie längst begraben; er hieß Matthias Claudius[1]!“

„Sie haben – einen guten Mann begraben“,[2][WS 1] sagte Paulus. „Wie klar und munter ist dies Lied, so klar und helle wie echter Wein, so mutig und munter wie der Geist, der im Weine wohnet, und gewürzt mit Scherz und Laune, die wie ein würziger Duft aus dem Römer steigen; der Mann hat gewiß verstanden, welch gutes Ding es um ein Glas lautern Weines ist.“

„Herr, er ist lange tot, das weiß ich, aber ein anderer großer Sterblicher hat gesagt: ‚Guter Wein ist ein gutes, geselliges Ding, und jeder Mensch kann sich wohl einmal von ihm begeistern lassen!‘ Und ich denke, der alte Matthias hat auch so gedacht unter guten Freunden, hätte ja sonst solch ein schönes Lied nicht machen können, das noch heute alle fröhlichen Menschen singen, die im Rheingau wandeln oder edeln Rheinwein trinken.“

„Singen sie das?“ rief Bacchus, „nun seht, Doktor, das freut mich, und so gar miserabel muß euer Geschlecht doch nicht geworden sein, wenn sie so klare, schöne Lieder haben und singen.“

„Ach, Herr!“ sprach ich bekümmert, „es gibt der Überschwenglichen gar viele, das sind die Pietisten in der Poesie, und wollen solch’ Lied gar nicht für ein Gedicht gelten lassen, wie manchen Frömmlern das Vaterunser nicht mystisch genug zum Beten ist.“

„Es hat zu jeder Zeit Narren gegeben, Herr!“ erwiderte mir Petrus, „und jeder fegt am besten vor seiner eigenen Thüre. [51] Aber weil wir gerade bei Seinem Geschlecht sind, erzähl’ Er uns doch, wie es auf der Erde ging im letzten Jahr!“

„Wenn es die Herren und Damen interessiert“ – sprach ich zögernd.

„Immer zu“, rief Roland, „wegen meiner könntet Ihr die letzten fünfhundert Jahre erzählen, denn auf meinem Domhof sehe ich nichts als Zigarrenmacher, Weinbrauer, Pfarrer und alte Weiber.“ Auch die übrigen stimmten mit ein, ich hub also an:

„Was zuerst die deutsche Litteratur betrifft –“

„Halt, manum de fabula!“ rief Paulus; „was scheren wir uns um euer miserables Geschmier, um eure kleinlichen, ekelhaften Gassenstreite und Kneipenraufereien, um eure Poetaster, Afterpropheten und –“

Ich erschrak; wenn diesen Leuten nicht einmal unsere wunderherrliche, magnifike Litteratur interessant war, was konnte ich ihnen denn sagen? Ich besann mich und fuhr fort: „Offenbar hat Joco[3] im letzten Jahre, was das Theater anbelangt –“

„Theater? geht mir weg!“ unterbrach Andreas, „was sollen wir von euren Puppenspielen, Marionettenkomödien und sonstigen Thorheiten hören! Meinet Ihr etwa, uns komme viel darauf an, ob einer eurer Lustspieldichter ausgepfiffen wurde oder nicht? Habt Ihr denn dermalen gar nichts Interessantes, nichts Welthistorisches, das Ihr etwa erzählen könntet?“

„Ach, daß Gott erbarm“, erwiderte ich, „bei uns ist die Welthistorie ausgegangen, wir haben in diesem Fach nur noch den Bundestag in Frankfurt. Bei unsern Nachbarn höchstens gibt es noch hin und wieder etwas; zum Beispiel in Frankreich haben die Jesuiten wieder Macht gewonnen[WS 2] und das Zepter an sich gerissen, und in Rußland sollte es eine Revolution geben[WS 3].“

„Ihr verwechselt die Namen, Freund!“ sagte Judas, „Ihr wolltet sagen, in Rußland sind die Jesuiten wieder eingezogen, und in Frankreich sollte es eine Revolution geben?“

„Mit nichten, Herr Judas von Ischariot“, antwortete ich, „so ist es, wie ich gesagt.“


  1. Matthias Claudius (1740–1815), Dichter und Schriftsteller, nannte sich auch „Asmus“ oder „Der Wandsbecker Bote“. Seine Lieder sind in einfachem, ungekünsteltem Volkston gedichtet.
  2. Vgl. Claudius’ Gedicht „Bei dem Grabe meines Vaters“.
  3. Joco, ein durch seine Kunststücke damals berühmter Affe, nach dem das Publikum mehr als nach guten Theaterstücken lief.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Das Fußnotenzeichen 2 fehlt in der Vorlage.
  2. Nachdem 1764 der Ordensbesitz in Frankreich eingezogen, und der Orden 1773 vom Papst aufgehoben worden war, ließ sein Nachfolger 1814 die Gesellschaft wieder zu. (Wikipedia).
  3. Im Dezember 1825 verweigerten in St. Petersburg die sogenannten Dezembristen dem neuen Zaren den Eid und forderten ihn zum Thronverzicht auf; dieser Aufstand wurde vom Regime sofort niedergeschlagen (Wikipedia).
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 50–51. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_027.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)