Seite:De Wilhelm Hauff Bd 2 024.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

„Tot, dachte ich und erschrak, tot und nicht schlafen? Tot bin ich und denke? Mich erfaßte eine unnennbare Angst, ich fühlte, wie mein Herz stille stand, und wie sich doch etwas in mir regte und in sich zusammenzog und bange, bange war; das war mein Körper nicht, denn der lag steif und tot, was war es denn?“

„Deine Seele!“ sprach Petrus dumpf; „deine Seele!“ flüsterten die andern ihm nach.

„Da maßen sie meine Länge und Breite, um die sechs Brettlein fertig zu machen, und legten mich hinein und ein hartes Kissen von Hobelspänen unter meinen Schädel und nagelten die Bahre zu, und meine Seele wurde immer ängstlicher, weil sie nicht schlafen konnte. Dann hörte ich die Totenglocke läuten auf der Domkirche, sie hoben mich auf, und kein Auge weinte um mich. Sie trugen mich auf Unser Lieben Frauenkirchhof, dort hatten sie mein Grab gegraben, noch höre ich die Seile schwirren, die sie heraufzogen, als ich unten lag; dann warfen sie Steine und Erde herab, und es ward stille um mich her.

Aber meine Seele zitterte heftiger, als es Abend wurde, als es zehn Uhr, eilf Uhr schlug auf allen Glocken. Wie wird es dir gehen, wie wird es dir gehen? dachte ich bei mir. Ich wußte noch ein Gebetlein aus alter Zeit, das wollte ich sprechen, aber meine Lippen standen still. – Da schlug es zwölf Uhr, und mit einem Ruck ward die schwere Grabesdecke abgerissen, und auf meinen Sarg geschah ein schrecklicher Schlag. –“

Ein Schlag, daß die Hallen dröhnten, sprengte jetzt eben die Thüre des Gemaches auf, und eine große, weiße Gestalt erschien auf der Schwelle. Ich war durch Wein und die Schrecknisse dieser Nacht so exaltiert und außer mir selbst gebracht, daß ich nicht aufschrie, nicht aufsprang, wie wohl sonst geschehen wäre, sondern geduldig das Schreckliche anstarrte, das jetzt kommen sollte; mein erster Gedanke war nämlich: Jetzt kommt der Teufel.

Habt ihr je im Don Juan jenen bangen Moment geschaut, wo Tritte dumpf und immer näher tönen, wo Leporello schreiend zurückkömmt und die Statue des Gouverneurs, ihrem Streitroß auf dem Monument entstiegen, zum Gastmahl kömmt? Riesengroß, mit abgemessenem, dröhnendem Schritt, ein ungeheures [45] Schwert in der Hand, gepanzert, aber ohne Helm, trat die Gestalt ins Gemach. Sie war von Stein, das Gesicht steif und seelenlos; aber dennoch that sich der steinerne Mund auf und sprach: „Gott grüß’ euch, vielliebe Reben vom Rheine; muß doch das schöne Nachbarskind besuchen an ihrem Jahrestag. Gott grüß’ Euch, Jungfrau Rose. Darf ich auch Platz nehmen in eurem Gelaggaden?“[1]

Sie schauten alle verwundert nach der riesigen Statue, Frau Rose aber brach das Stillschweigen, schlug vor Freude die Hände zusammen und schrie: „Ei, du meine Güte! ’s ist ja der steinerne Roland[2], so seit vielen hundert Jahren auf dem Domhofe in der lieben Stadt Bremen steht. Ei, das ist schön, daß Ihr uns die Ehre anthut, Herr Ritter; leget doch Schild und Schwert ab und machet es Euch bequem; wollet Ihr Euch nicht obenan setzen an meine Seite? O Gott, wie mich das freut!“

Der hölzerne Weingott, so indessen wieder um ein Erkleckliches gewachsen, warf mürrische Blicke bald auf den steinernen Roland, bald auf die naive Dame seines Herzens, die ihre Freude so laut und unverhohlen ausgelassen. Er murmelte etwas von ungebetenen Gästen und strampelte ungeduldig mit den Beinen. Aber Rose drückte ihm unter dem Tische die Hand und beschwichtigte ihn durch süße Blicke. Die Apostel waren näher zusammengerückt und hatten dem steinernen Gast einen Stuhl neben dem alten Fräulein eingeräumt. Er legte Schwert und Schild in die Ecke und setzte sich ziemlich ungelenk auf das Stühlein, aber ach, dies war für ehrsame Bremer Stadtkinder und nicht für einen steinernen Riesen gemacht, es knackte, als er sich setzte, morsch zusammen, und solang er war, lag er im Gemach.

„Schnödes Geschlecht, das solche Hitschen zimmert, worauf zu meiner Zeit nicht einmal ein zartes Fräulein hätte sitzen können, ohne mit dem Sitz durchzubrechen“, sagte der Heros und

stand langsam auf; der Kellermeister Balthasar aber rollte ein


  1. Gaden (Gadem), altdeutsches, noch jetzt in Süddeutschland übliches Wort für Haus von nur einem Gemach, dann Kammer, Gemach.
  2. Der steinerne Roland wurde 1404 auf dem Markte zu Bremen vor dem Rathause errichtet.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 44–45. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_024.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)