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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

Unserer Lieben Frauen und gießet Wein auf ihre Grabsteine! Sie sind hinunter und zwei Jahrhunderte mit ihnen!

Nun, auf euer Wohlsein, alte Herren von Anno 1615, und auf das Wohl eurer würdigen Enkel, die so gastfreundlich dem Fremdling die Hand und dieses Labsal boten!

„So! Und jetzt gute Nacht, Frau Rose“, setzte der alte Diener freundlicher hinzu, indem er sein Körbchen zusammenräumte; „jetzt gute Nacht und Gott befohlen; hier heraus, nicht dort um die Ecke, hier heraus geht der Weg aus dem Keller, wertgeschätzter Herr. Kommt, stoßet Euch nicht hier an die Fässer, ich will Euch leuchten.“

„Mit nichten, Alter“, erwiderte ich, „jetzt geht das Leben erst recht an. Das alles war nur der Vorschmack. Gib mir zweiundzwanz’ger Ausstich, so etwa zwei bis drei Flaschen, in das große Gemach dort hinten. Ich hab’ ihn grünen sehen, diesen Wein und war dabei, als sie ihn kelterten; hab’ ich das Alter bewundert, so muß ich meiner Zeit nicht minder ihr Recht anthun.“

Er stand da mit weitgeöffneten Augen, der Jammermensch; er schien seinen Ohren nicht zu trauen. „Herr“, sprach er dann feierlich, „sprechet nicht solch gottlosen Scherz. Heute nacht wird nun und nimmermehr was daraus; ich bleibe um keine Seligkeit.“

„Und wer sagt denn, daß du bleiben sollst? Dort setze den Wein hinein und dann mach’ in Gottes Namen, daß du fortkömmst; ich will nun einmal diese Gedächtnisnacht hier feiern und habe mir deinen Keller ausersehen; dich habe ich nicht von nöten.“

„Aber ich darf Euch nicht allein im Keller lassen“, entgegnete er, „ich weiß wohl, nehmt mir nicht ungütig, daß Ihr den Keller nicht bestehlet, aber es ist einmal gegen die Ordnung.“

„Nun, so schließe mich ein in jenes Gemach; hänge ein Schloß davor, so schwer als du willst, daß ich nimmer heraus kann, und morgen früh um sechs Uhr kannst du mich aufwecken und dein Schlafgeld holen.“

Der Mann des Kellers versuchte noch mancherlei Einreden, doch umsonst; er setzte endlich drei Flaschen und neun Kerzen vor mich hin, wischte den Römer aus, schenkte mir den zweiundzwanziger [17] Ausstich ein und wünschte mir, wie es schien mit schwerem Herzen, gute Nacht. Richtig schloß er auch die Thüre zweimal ab und hängte, wie es mir schien, mehr aus zärtlicher Angst für mich als aus Vorliebe für seine Keller noch ein Hängeschloß vor. Eben schlug die Glocke halb Zwölf. Ich hörte ihn ein Gebet sprechen und davoneilen. Seine Schritte hallten immer ferner und ferner im Gewölbe; doch als er oben das Außenthor des Kellers zuschlug, hallte es wie Kanonendonner durch die Gänge und Hallen.

[Vignette]

So wäre ich denn allein mit dir, meine Seele, tief unten im Schoße der Erde. Oben auf der Erde schlafen sie jetzt und träumen, und auch hier unten, rings um mich her, schlummern sie in ihren Särgen, die Geister des Weines. Ob sie wohl träumen, von ihrer kurzen Kindheit träumen, und der fernen Berge, der Heimat, gedenken, wo sie groß wurden, und des Stromes, des alten Vaters Rhein, der ihnen allnächtlich freundlich ein Wiegenlied murmelte?

Gedenket ihr der wonnigen Tage, da die milde Mutter, die Sonne, euch aus dem Schlummer küßte, da ihr in klarer Frühlingsluft die Äuglein öffnetet zum erstenmal und hinabschautet ins herrliche Rheingau? Und als der Mai einzog in sein deutsches Paradies, gedenket ihr noch, wie euch die Mutter anthat mit grünen Kleidchen von Laubwerk, und wie der alte Vater baß sich dessen freute, herauslugte aus seinem grünen Bette und euch zuwinkte und munter rauschte am Lurlei?

Und gedenkst denn auch du der Rosentage deiner Jugend, o Seele? der sanften Rebenhügel der Heimat, des blauen Stromes und der blühenden Thäler des Schwabenlandes? O Wonnezeit voll holder Träume! wie reich bist du behängt mit Bilderbüchern, Christbäumen, Mutterliebe, Osterwochen und Ostereiern, mit Blumen und Vögeln, Armeen aus Blei und Papier und den ersten Höschen und Kollettchen, in welche sich deine kleine sterbliche Hülle, stolz auf ihre Größe, kleiden ließ. Und wie dich der selige Vater auf den Knieen schaukelte und dir der Großvater gerne das

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 16–17. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_010.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)