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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke

jungfräuliche Myrte sich um die kaum erblühte Rosenknospe schlingt – es wird euch an die Sterblichkeit mahnen, es wird euch vielleicht eine Thräne kosten; aber kann es euch also rühren, wie der Anblick dieser Schlafkammer eines Jahrhunderts, dieser Ruhestätte eines herrlichen Geschlechtes? Da liegen sie in ihren dunkelbraunen Särgen, schmucklos, ohne Glanz und Flitter. Kein Marmor rühmt ihr stilles Verdienst, ihre anspruchslose Tugend, ihren vortrefflichen Charakter; aber welcher Mann von einigem Gefühl für Tugenden dieser Art fühlt sich nicht innig bewegt, wenn der alte Ratsdiener, dieser Aufwärter in den Katakomben, dieser Küster der unterirdischen Kirche, die Kerzen auf die Särge stellt, wenn dann das Licht auf die erhabenen Namen der großen Toten fällt! Wie regierende Häupter führen auch sie keine langen Titel und Zunamen; einfach und groß stehen die Namen auf ihren braunen Särge geschrieben. Dort Andreas, hier Johannes, in jener Ecke Judas, in dieser Petrus. Wen rührt es nicht, wenn er dann hört: dort liegt der Edle von Nierenstein, geboren 1718, hier der von Rüdesheim, geboren 1726. Rechts Paulus, links Jakob, der gute Jakob!

Und ihre Verdienste? Ihr fraget? Seht ihr denn nicht, wie er eingießt in den grünen Römer, wie er das herrliche Blut des Apostels mir darreicht? Gleich dunkelrotem Golde blinkt es im Glase. Als ihn die Sonne aufzog auf den Hügeln von St. Johannes, da war er blond und helle; ein Jahrhundert hat ihn gefärbt. Welche Würze des Geruches! Welche Namen leg’ ich dir bei, du lieblicher Duft, der aus dem Römer aufsteigt? Nehmet alle Blüten von den Bäumen, pflücket alle Blumen in den Fluren, führt Indiens Gewürz herbei, besprengt mit Ambra diese kühlen Keller, löset den Bernstein in bläuliche Wölkchen auf – mischet aus ihnen alle die feinsten Düfte, wie die Biene ihren Honig aus den Blüten saugt, wie schlecht, wie gemein, wie unwürdig gegen die zarte Blume deines Kelches, mein Bingen und Laubenheim, gegen deine Düfte, Johannes und Nierenstein von 1718!

„Ihr schüttelt den Kopf, Alter? Tadelt Ihr meine Freude an euren alten Gesellen? Da, nimm diesen Römer, alter Mensch, trink auf das Wohlsein dieser Zwölfe! Komm, stoß an, sie sollen leben!“

[15] „Gott soll mich bewahren, daß ich einen Tropfen trinke in dieser Nacht“, erwiderte er, „man soll mit dem Teufel kein Spiel treiben. Aber wenn Ihr sie alle durchgekostet, wollen wir weitergehen. Mir graut in diesem Keller.“

„Gute Nacht denn, ihr alten Herren vom Rheine, gute Nacht und herzlichen Dank für euer Labsal. Und wenn ich dir, mein ernster, feuriger Judas, wenn ich dir, mein sanfter, lieblicher Andreas, dir, mein Johannes, dienen kann, so kommt, kommt zu mir.“

„Herr des Himmels!“ unterbrach mich der Alte und schlug die Thüre zu und drehte hastig die Schlüssel um, „seid Ihr von den paar Tropfen schon betrunken, daß Ihr den Teufel heraufschwört? Wißt Ihr denn nicht, daß die Weingeister aufstehen diese Nacht und einander besuchen, wie immer am ersten September? Und sollt’ ich meinen Dienst verlieren, ich laufe davon, wenn Ihr noch solche Worte sprecht. Noch ist es nicht zwölf Uhr, aber kann denn nicht alle Augenblicke einer aus dem Faß kriechen mit greulichem Gesicht und uns zu Tode schrecken?“

„Alter, du faselst! Doch sei ruhig; ich will kein Wort mehr sprechen, daß deine Weingespenster nicht wach werden. Doch jetzt führe mich zur Rose.“ Wir gingen weiter, wir traten ein in das Gewölbe, in das Rosengärtlein von Bremen. Da lag sie, die alte Rose; groß, ungeheuer, mit einer Art von gebietender Hoheit. Welch ungeheures Faß; und jeder Römer ein Stück Goldes wert! Anno 1615! Wo sind die Hände, die dich pflanzten, wo die Augen, die sich an deiner Blüte erfreuten? wo die fröhlichen Menschen alle, die dir zujauchzten, edle Traube, als man dich abschnitt auf den Höhen des Rheingaus, als man deine Hüllen abstreifte und du als goldener Born in die Kufe strömtest? Sie sind dahin, wie die Wellen des Stromes, der an deinem Rebenhügel hinabzog. Wo sind sie, jene alten Herren der Hansa, jene würdigen Senatoren dieser alten Stadt, die dich pflückten, duftende Rose, dich verpflanzten in diese kühlen Räume zum Labsal ihrer Enkel? Gehet hinaus auf Angarii Friedhof[1], gehet hinauf zur Kirche


  1. Friedhof in Bremen, benannt nach dem Erzbischof Ansgar (801–865), der besonders im Norden für die Ausbreitung des Christentums thätig war.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 14–15. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_2_009.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)