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„Aber, lieber Herr“, entgegnete Marie, indem sie den Geliebten inniger an sich drückte und lächelnd zu dem strengen Herrn aufblickte; „bedenket, er ist ja mein Haupt, wie kann ich ihm etwas befehlen?“

„Eben deswegen hütet Euch, daß Ihr dieses Haupt nicht wieder verlieret; bindet ihn mit einem Liebesknoten recht fest, daß er Euch nicht entlaufe, er ändert nur gar zu leicht die Farbe; wir haben Beispiele!“

„Ich trug nur eine Farbe, mein väterlicher Freund!“ entgegnete der junge Mann, indem er in die Augen seiner schönen Frau und auf die Feldbinde niedersah, die seine Brust umzog; „nur eine, und dieser blieb ich treu –“

„Wohlan! so halte ferner nur zu ihr“, sagte Frondsberg und reichte ihm die Hand zum Abschied. „Lebe wohl! die Pferde harren vor dem Zelt; bringet Eure Gefangenen sicher auf die Feste, schöne Frau, und gedenket huldreich des alten Frondsberg.“

Marie schied von diesem Edeln mit Thränen in den Augen, auch die Männer nahmen bewegt seine Hand, denn sie wußten wohl, daß ohne seine Hülfe ihr Geschick sich nicht so freundlich gewendet hätte. Noch lange sah ihnen Georg von Frondsberg nach, bis sie an der äußersten Zeltgasse um die Ecke bogen. „Er ist in guten Händen“, sagte er dann, indem er sich zu Breitenstein wandte, „wahrlich, der Segen seines Vaters ruht auf ihm. Ein gutes, schönes Weib und ein Erbe, wie wenige sind im Schwabenland.“

„Ja, ja!“ erwiderte Hans von Breitenstein, „seiner Klugheit und Vorsicht hat er es nicht zu danken; doch wer das Glück hat, führt die Braut heim; ich bin fünfzig alt geworden und gehe noch auf Freiersfüßen; Ihr auch, Herr Dieterich von Kraft, nicht wahr?“

„Mitnichten und im Gegenteil“, sagte dieser wie aus einem Traum erwachend; „wenn man ein solches Paar sieht, weiß man, was man zu thun hat. In dieser Stunde noch setze ich mich in meine Sänfte, reise nach Ulm und führe meine Base heim; lebt wohl, ihr Herren!“




[429] Als der Schwäbische Bund Württemberg wiedererobert hatte, richtete er seine Regierung wieder ein und beherrschte das Land wieder wie im Sommer 1519. Die Anhänger des vertriebenen Herzogs mußten Urfehde schwören und wurden auf ihre Burgen verwiesen. Georg von Sturmfeder und seine Lieben, die dieses Schicksal mitbetraf, lebten zurückgezogen auf Lichtenstein, und Marien und ihrem Gatten ging in ihrem stillen häuslichen Glück ein neues Leben auf.

Noch oft, wenn sie am Fenster des Schlosses standen und hinabschauten auf Württembergs schöne Fluren, gedachten sie des unglücklichen Fürsten, der einst hier mit ihnen auf sein Land hinabgeblickt hatte; und dann dachten sie nach über die Verkettung seiner Schicksale und wie durch eine sonderbare Fügung auch ihr eigenes Geschick mit dem seinigen verbunden war; und wenn sie sich auch gestanden, daß ihr Glück vielleicht nicht so frühe, nicht so schön aufgeblüht wäre ohne diese Verknüpfung, so wurde doch ihre Freude durch den Gedanken getrübt, daß der Stifter ihres Glückes noch immer ferne von seinem Lande, im Elend der Verbannung lebe. Erst viele Jahre nachher gelang es dem Herzog, Württemberg wiederzuerobern. Doch, als er geläutert durch Unglück als ein weiser Fürst zurückkehrte, als er die alten Rechte ehrte und die Herzen seiner Bürger für sich gewann, als er jene heiligen Lehren, die er in fernem Lande gehört, die so oft sein Trost in einem langen Unglück geworden waren, seinem Volke predigen ließ und einen geläuterteren Glauben mit den Grundgesetzen seines Reiches verband, da erkannten Georg und Marie den Finger einer gütigen Gottheit in den Schicksalen Ulerichs von Württemberg, und sie segneten den, der dem Auge des Sterblichen die Zukunft verhüllt und auch hier wie immer durch Nacht zum Lichte führte.

Der Name der Lichtenstein im Württemberger Land ging mit dem alten Ritter zu Grabe; doch erlebte er noch in hohem Alter die Freude, seine blühenden Enkel waffenfähig zu sehen. So geht Geschlecht um Geschlecht über die Erde hin; das Neue verdrängt das Alte, und nach dem kurzen Zeitraum von fünfzig oder hundert Jahren sind biedere Männer, treue Herzen vergessen;

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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 428–429. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_237.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)