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uns, aber man hörte ihn nicht an. Da stand der Reichsmarschall auf, erhob seinen goldenen Stab und sprach: ‚Wer es mit dem Herzog Ulerich von Württemberg hält, trete auf seine Seite‘; der Gaispeter aber trat auf einen hohen Stein und rief: ‚Wer es mit dem Armen Konrad vom Hungerberg hält, trete hieher.‘ Siehe, da stand der Herzog verlassen unter seinen Dienern. Wir andern hielten zu dem Bettler.“

„O, schändlicher Aufruhr“, rief Georg vom Gefühl des Unrechts ergriffen, „schändlich vor allen, die, welche es soweit kommen ließen! Da war gewiß Ambrosius Volland, der Kanzler, an vielem schuld?“

„Ihr könnet recht haben“, erwiderte der Spielmann; „doch höret weiter; der Herzog, als er sah, daß seine Sache verloren sei, schwang sich auf sein Roß, wir aber drängten uns um ihn her, doch noch wagte es keiner, den Fürsten anzutasten, denn er sah gar zu gebietend aus seinen großen Augen auf uns herab. ‚Was wollt ihr, Lumpen!‘ schrie er und gab seinem Hengst die Sporn, daß er sich hoch aufbäumte und drei Männer niederriß. Da erwachte unser Grimm, sie fielen seinem Roß in die Zügel, sie stachen nach ihm mit Spießen, und ich, ich vergaß mich so, daß ich ihn am Mantel packte und rief: ‚Schießt den Schelmen tot.‘“[1]

Das warst du, Hans?“ rief Georg und sah ihn mit scheuen Blicken an.

„Das war ich“, sagte dieser langsam und ernst, „aber es ward mir dafür, was mir gebührte. Der Herzog entkam uns damals und sammelte ein Heer; wir konnten nicht lange aushalten und ergaben uns auf Gnad’ und Ungnad’. Es wurden zwölf Anführer des Aufruhrs nach Schorndorf geführt und dort gerichtet, ich war auch unter diesen. Aber als ich so im Kerker lag und mein Unrecht und den nahen Tod überdachte, da graute mir vor mir selbst, und ich schämte mich, mit so elenden Gesellen, wie die eilf anderen waren, gerichtet zu werden.“

[409] „Und wie wurdest du gerettet?“ fragte Georg teilnehmend.

„Wie ich Euch schon in Ulm sagte, durch ein Wunder. Wir zwölf wurden auf den Markt geführt, es sollte uns dort der Kopf abgehauen werden. Der Herzog saß vor dem Rathaus und ließ uns noch einmal vor sich führen. Jene eilfe stürzten nieder, daß ihre Ketten fürchterlich rasselten, und schrieen mit jammernder Stimme um Gnade. ‚Warum bittest du nicht auch?‘ fragte er. ‚Herr‘, antwortete ich, ‚ich weiß, was ich verdient habe, Gott sei meiner Seele gnädig.‘ Noch einmal sah er auf uns, dann aber winkte er dem Scharfrichter. Sie wurden nach dem Alter gestellt, ich, als der jüngste, war der letzte. Ich weiß wenig mehr von jenen schrecklichen Augenblicken; aber nie vergesse ich den greulichen Ton, wenn die Halsknorpel krachten –“

„Um Gotteswillen hör’ auf“, bat Georg, „oder übergehe das Gräßliche!“

„Neun Köpfe meiner Gesellen staken auf den Spießen, da rief der Herzog: ‚Zehn sollen bluten, zwei frei sein. Bringt Würfel her und laß die drei dort würfeln!‘ Man brachte Würfel, der Herzog bot sie mir zuerst; ich aber sagte: ‚Ich habe mein Leben verwirkt und würfle nicht mehr darüber!‘ Da sprach der Herzog: ‚Nun, so würfle ich für dich.‘ Er bot den zwei andern die Würfel hin. Zitternd schüttelten sie in den kalten Händen die Würfel, zitternd zählten sie die Augen; der eine warf neun, der andere vierzehn; da nahm der Herzog die Würfel und schüttelte sie. Er faßte mich scharf ins Auge, ich weiß, daß ich nicht gezittert habe. Er warf – und deckte schnell die Hand darauf. ‚Bitte um Gnade‘, sagte er, ‚noch ist es Zeit.‘ – ‚Ich bitte, daß Ihr mir verzeihen möget, was ich Euch Leids gethan‘, antwortete ich, ‚um Gnade aber bitt’ ich nicht, ich habe sie nicht verdient und will sterben.‘ Da deckte er die Hand auf, und siehe, er hatte achtzehn geworfen. Es war mir sonderbar zu Mut; es kam mir vor, als habe er gerichtet an Gottes Statt. Ich stürzte auf meine Kniee nieder und gelobte fortan in seinem Dienst zu leben und zu sterben. Der zehnte ward geköpft, wir beide waren frei.“

Mit immer höher steigender Teilnahme hatte Georg der Erzählung des Pfeifers von Hardt zugehört; aber als er schloß, als


  1. Es soll bei dieser Gelegenheit wirklich einmal auf den Herzog geschossen worden sein. Derjenige, der diese Worte rief, war nach W. Zimmermanns „Geschichte des großen Bauernkriegs“, I, 91, Ruprecht von Beutelspach.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 408–409. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_227.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)