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als vorher, nicht weil er bedeutend mehr von ihnen wollte als früher, sondern weil sie die neuen Formen mit argwöhnischen Augen ansahen.

Ein Herzog, besonders wenn er einem Ambrosius Volland sein Ohr leiht, erfährt selten genau, wie man über ihn denkt, und ob die Maßregeln klug berechnet waren, die ihm seine Räte an die Hand geben. Und dennoch entging Ulerichs hellem Auge die Unzufriedenheit seines Volkes nicht ganz. Er merkte, daß er im schlimmen Falle sich nicht auf sie werde verlassen können, so wenig als auf die Ritterschaft des Landes, die, seit er wieder im Land war, sich sehr neutral verhalten hatte.[Hauff 1]

Seine Unruhe über diese Bemerkungen suchte er jedem Auge zu verbergen. Er beschwor die wildesten Töne der Freude herauf, und oft gelang es ihm sogar, selbst zu vergessen, vor welchem Abgrund er stehe. Er versuchte, um seinem Volk und dem Heer, das er in und um Stuttgart versammelt hatte, Vertrauen und Mut einzuflößen, einige Einfälle, welche die Bündischen von Eßlingen aus in sein Land gemacht hatten, verdoppelt heimzugeben. Er schlug sie zwar und verwüstete ihr Gebiet, aber er verhehlte sich nicht, wenn er nach einem solchen Siege in seine Stellungen zurückging, daß das Kriegsglück ihn vielleicht verlassen könnte, wenn der Bund einmal mit dem großen Heere im Feld erscheinen werde.

Und er erschien frühe genug für Ulerichs zweifelhaftes Geschick. Noch wußte man in Stuttgart wenig oder nichts von dem Aufgebot des Bundes, noch lebte man am Hof und in der Stadt in Ruhe und in Freude, als auf einmal am 12. Oktober die Landsknechte, welche der Herzog ein Lager bei Kannstatt hatte beziehen lassen, flüchtig nach Stuttgart kamen und von einem großen bündischen Heer erzählten, das sie zurückgeworfen habe. Jetzt merkten die Bewohner Stuttgarts, daß eine wichtige Entscheidung nahe, jetzt sahen sie ein, daß der Herzog längst um diesen drohenden Einfall gewußt haben müsse, denn er ließ an diesem Tage die Ämter aufbieten, ließ die Truppen sich versammeln, die auf das Land umher verlegt gewesen waren, und hielt noch am Abend dieses Tages eine Musterung über zehntausend Mann.[Hauff 2]

[385] Noch in der Nacht zog er mit einem großen Teil der Mannschaft aus, um die Stellungen, die ein Teil der Landsknechte zwischen Kannstatt und Eßlingen genommen hatte, zu verstärken.

In jener Nacht wurde in Stuttgart manche Thräne von schönen Augen geweint, denn Männer und Jünglinge, was die Waffen führen konnte, zog mit dem Herzog in die Schlacht. Doch das Rauschen des abziehenden Heeres übertönte die Klagen der Mädchen und Frauen, sie verhallten wie das Wimmern eines Kindes im Kampf der Elemente. Mariens Schmerz war stumm, aber groß, als sie den Gatten unter die Thüre herabgeleitete, wo die Knechte mit den Rossen für ihn und den Vater hielten. Sie hatten still und einsam, nur mit ihrem Glück beschäftigt, die ersten Tage ihrer Ehe verlebt. Sie dachten wenig an die Zukunft, sie glaubten im Hafen zu sein, und indem sie nur sich selbst lebten, überhörten sie das Flüstern, die geheimnisvolle Unruhe, die einem nahenden Sturm vorangeht. Sie waren gewöhnt, den Vater ernst und düster zu sehen, es fiel ihnen nicht auf, wie sein Auge immer trüber, seine Stirne finsterer, seine Mienen beinahe traurig wurden. Er sah ihr süßes Glück, er fühlte mit ihnen, er verbarg, um sie nicht zu frühe aufzustören, was ihm eine bange Ahnung oft genug sagte. Aber endlich nahte der entscheidende Schlag. Der Herzog von Bayern war bis in die Mitte des Landes vorgedrungen, und der Ruf zu den Waffen schreckte Georg aus den Armen seines geliebten Weibes.

Die Natur hatte ihr eine starke Seele und jene entschiedene Erhabenheit über jedes irdische Verhängnis gegeben, die nur in einer reinen Seele und in der mutigen Zuversicht auf einen höhern Beistand bestehen kann. Sie wußte, was Georg der Ehre seines Namens und seinem Verhältnis zum Herzog schuldig sei, darum erstickte sie jeden lauten Jammer und brachte ihrer schwächeren Natur nur jenes Opfer schmerzlicher Thränen, die dem Auge, das den Geliebten tausend Gefahren preisgegeben sieht, unwillkürlich entströmen.

„Siehe, ich kann nicht glauben, daß du auf immer von mir gehst“, sagte sie, indem sie ihre schönen Züge zu einem Lächeln zwang; „wir haben jetzt erst zu leben begonnen, der Himmel kann

Anmerkungen (Hauff)

  1. [434] Über dieses neutrale Verhalten des Adels ist zu vergleichen Sattler II, § 19.
  2. [434] „Der Herzog zog sich mit ungefähr 6000 Landvolk nach Stuttgart, und die angeworbenen Knechte legte er nach Kannstadt.“ Sattler, § 21. „Der Herzog, als er erfuhr, daß der Feind so nahe sei, rief die Seinigen schnell aus Städten und Dörfern herbei, die auch sogleich erschienen.“ Thetingeri Commentarius etc. lib. III.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 384–385. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_215.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)