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fragte sie halb unmutig, doch nicht ohne Teilnahme, „was heulscht denn? Hoscht’s denn et g’seha? Gang, ’s ist jo a Schand! wenn’s jo ebber sieht; so sag’ no, worum da heulscht?“

„I wois et, Muater!“ flüsterte sie, indem sie vergeblich ihre Thränen zu bezwingen suchte; „es ist mer so weh’ im Herz drin, i woiß et worum.“

„Laß jetzt bleiba, sag’ e! Komm’, sonst kommemer z’spot in d’Kirch. Hairsch, wie se musizieret und singet? Komm’, sonst seha mer nix mai!“ Die Frau zog bei diesen Worten das Mädchen nach der Kirche. Bärbele folgte, sie bedeckte die Augen mit der weißen Schürze, um nicht den Stadtleuten zum Gespött zu werden, aber die tiefen Seufzer, die sich aus ihrer Brust heraufstahlen, ließen ahnen, daß sie einen tiefen Schmerz vergeblich zu unterdrücken suche. Die Orgel schwieg, der Chorgesang verstummte, als sie an der Kirchthüre anlangten; die Einsegnung des schönen Paares mußte in diesem Augenblick beginnen. Aber vergebens suchte die runde Frau durch die dichten Reihen zu dringen, welche die Thüre füllten, sie wurde, so oft sie sich in einen freien Raum zu schieben suchte, unwillig und mit Scheltworten zurückgestoßen.

„Komm’, Mueter!“ sprach das Mädchen, „mer wellet hoim; mer sent arme Leut’, uns lasset se et in d’Kirch; komm’ hoim.“

„Was? d’Kircha sind für älle Leut’ erschaffa; au für d’Arme. Wia, ihr Herra, lent es e bisle do nei. Mer sehet jo gar nix.“

„Waz?“ sprach der Mann, an den sie sich gewendet hatte und kehrte ihr ein rotbraunes Gesicht mit schrecklichem Bart zu, „waz? packt Euch fort, wir lassen niemand durch; wir zind die allergnädigsten herzoglichen Landsknechte wir, und nach dem Zanktus, hat der Hauptmann befohlen, darf keine Zeele mehr durch; Mordblei! thut mir leid, wenn ich in der Kirche fluche, aber ich zag’, weg da!“

„Die Olte muß weg, sogen wer, ober das Dienderl dorf ’rein; komm’ Schätzerl! Do konnst’s recht gut sehen! schaut’s, jetzt steckt ihr der Probst den Ring on, jetzt legt er ihne die Händ’ zusommen – gib mir en Schmatzerl, dann darfst seh’n.“ Der Kasperle von Wien streckte bei diesen Worten seine tapfere Hand nach dem Mädchen aus, doch diese schrie laut auf und entfloh weinend; die [369] runde Frau aber verwünschte die Stadtleute, die Stadtkirchen und die unanständigen Landsknechte und folgte ihrer Tochter.





VII.


 „So hab’ ich endlich dich gerettet
 Mir aus der Menge wilden Reih’n;
 Du bist in meinen Arm gekettet,
 Du bist nun mein, nun einzig mein.
 Es schlummert alles diese Stunde,
 Nur wir noch leben auf der Welt;
 Wie in der Wasser stillem Grunde
 Der Meergott seine Göttin hält.“
 L. Uhland.[1]


Herzog Ulerich von Württemberg liebte eine gute Tafel, und wenn in guter Gesellschaft die Becher kreisten, pflegte er nicht sobald das Zeichen zum Aufbruch zu geben. Auch am Hochzeitfeste Mariens von Lichtenstein blieb er seiner Gewohnheit treu. Man war, als die heilige Handlung in der Kirche vorüber war, in den Lustgarten am Schloß gezogen; dort hatten sich in den Laubgängen und künstlich verschlungenen Wegen die Hochzeitgäste ergangen, oder an den zahmen Hirschen und Rehen im Gehege, oder an den Bären, die in einem der Gräben des Schlosses umherwandelten, sich ergötzt. Um zwölf Uhr hatten die Trompeten zur Tafel gerufen. Sie wurde in der Tyrnitz gehalten, einer weiten, hohen Halle, die viele hundert Gäste faßte. Diese Halle war die Zierde des Schlosses zu Stuttgart. Sie maß wohl hundert Schritte in der Länge; die eine Seite, die gegen den Garten des Schlosses lag, war von vielen breiten Fenstern unterbrochen, und der freundliche Tag ergoß sich durch die vielfarbigen Scheiben und erhellte überall das ungeheure Gemach, das mit seinen Wölbungen und Säulen mehr einer Kirche als einem Tummelplatz der Freude glich. Um die drei übrigen Seiten liefen Galerien mit Teppichen reich behängt, sie waren für die Geiger und Trompeter und für die Zuschauer bei einem fürstlichen Mahle bestimmt, oft aber


  1. Erste Strophe des Gedichtes: „Die Abgeschiedenen“.
Empfohlene Zitierweise:
Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 368–369. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_207.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)