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konnten. Von der Größe dieser fürstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, daß man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da führte eine steinerne Treppe aufwärts so breit, daß zwei Reiter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser großartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien, die zum Tanz und Spiele eingerichtet waren.

Georg maß mit staunendem Auge diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den kleinen Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Höfen, diesen Sälen, wie klein und gering kam es ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glänzenden Hofhaltung Ulerichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloß siebentausend Gäste aus allen Teilen des Deutschen Reiches speiste und tränkte, wo in dem hohen Gewölbe der Tyrnitz und in dem weiten Schloßhofe einen ganzen Monat lang Ritterspiel’ und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen, Ritter und Edelleute mit Hunderten der schönsten Damen in jenen Sälen und Galerien tanzten! Er blickte hinab in den herrlichen Schloßgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevölkerte diese Lustgehege und Gänge mit jenem fröhlichen Gewimmel des fröhlichen Hofes mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fräulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie öde und leer deuchten ihm diese Mauern und Gärten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gäste der Hochzeit, der glänzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fürstliche Gemahlin ist entflohen, der glänzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten, sind von dem Fürsten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen – er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, brütet Rache an seinen Feinden und weiß nicht, wie lange er nur in dem Hause seiner Väter bleiben wird; ob nicht aufs neue seine Feinde noch mächtiger heranziehen, ob er nicht noch unglücklicher wird als je zuvor.

[335] Vergebens strebte der Jüngling, diese trüben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebungen mit dem Unglück des Herzogs in ihm erweckt hatten, zu unterdrücken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte; vergebens malte er sich sein häusliches Glück an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus, jene trüben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, daß jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglück gezeigt hatte, einen so großen Raum in der Brust des Jünglings gewonnen hatte, sei es, daß ihn[WS 1] die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkürlichen Gefühl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als glücklich, als müsse er ihn vor irgend einem drohenden Unglück warnen.

„So überaus ernst, junger Herr?“ fragte eine heisere Stimme hinter ihm und weckte ihn aus seinen Gedanken. „Ich dächte doch, Georg von Sturmfeder hätte alle Ursache, heiter und guter Dinge zu sein!“

Der junge Mann wandte sich verwundert um und schaute herab – auf den Kanzler Ambrosius Volland. War ihm dieser Mann schon gestern durch seine widrige Freundlichkeit, durch sein katerhaftes, schleichendes Wesen unangenehm aufgefallen, so war dies heute noch mehr der Fall, da der Kanzler durch überladenen Putz seine Mißgestalt noch mehr herausgehoben hatte. Sein dunkelgelbes verwittertes Antlitz, mit dem ewigen stehenden Lächeln, die grünen Äuglein unter den langen, grauen Wimpern, die roten, entzündeten Ränder der Augenlider, der dünne Katzenbart stachen grell ab gegen ein rotes Barett von Samt und gegen einen Mantel von hellgelber Seide, der über den Höcker des kleinen Mannes hinabfloß. Unter diesem trug er einen grasgrünen Anzug, rosenrot ausgeschlitzt, und rosenrote Kniebänder mit ungeheuren Maschen. Sein Kopf stak in den Schultern, und das rote Barett stieß hinten sogleich auf den Höcker auf. Der Scharfrichter von Stuttgart pflegte daher zu sagen, unter allen Menschen, die er kenne, sei niemand schwerer zu köpfen als der Kanzler Ambrosius Volland.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: ihm
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 334–335. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_190.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)