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mancher Ursache hatte, seine Wiederkehr nicht gerade herbeizuwünschen. Die Bürgerschaft konnte ihre Freude über diese Nachrichten kaum verbergen; sie verließen ihre Häuser, traten haufenweise auf den Straßen zusammen und besprachen sich über die Dinge, die ihrer warteten. Sie schimpften leise, aber weidlich auf den Bund, ballten grimmig ihre Fäuste in der Tasche und waren überaus patriotisch gesinnt. Sie erinnerten sich der erlauchten Ahnen des vertriebenen Fürsten, es war sein Name Württemberg, den auch sie trugen, sie zählten so manchen wackeren Herrn aus der Familie auf, unter welchem sie und ihre Väter glücklich gelebt, der Württembergs Namen berühmt gemacht hatte. Auch der Gedanke that ihnen wohl, daß von ihrer Entscheidung für den einen oder den andern Teil so viel abhänge, weil man im ganzen Lande auf die Stuttgarter sehe. Sie waren zwar weit entfernt, gegen die bündische Besatzung auf ihre eigene Faust einen Aufruhr zu unternehmen, aber sie sprachen zu einander: „Gevatter, wart’ nur, bis es Nacht wird, da wollen wir es den Reichsstädtlern zeigen, wo sie her sind, wir Stuttgarter.“

Dem bündischen Statthalter Christoph von Schwarzenburg[1] entging diese Bewegung unter den Bürgern nicht. Zu spät sah er ein, wie thöricht man gethan habe, das Heer zu entlassen. Er wandte sich an die Bundesstände, die noch zu Nördlingen versammelt waren, und begehrte Hülfe, aber er selbst gab die Hoffnung auf, Stuttgart so lange halten zu können, bis ein neues Heer im Feld erschienen sei. Er traf zwar einige Anstalten zur Gegenwehr, aber die Blitzesschnelle, mit welcher der Herzog erschien, vereitelte alle seine Bemühungen. Als er sah, daß er den Bürgern nicht trauen könne, daß ihm der Adel nicht beistehe, daß die Besatzung nicht einmal zur Sicherung der Thore hinreiche, entwich er bei Nacht und Nebel mit den Bundesräten nach Eßlingen. Ihre Flucht war so eilig und geheim, daß sie sogar ihre Familien zurückließen, und niemand in der Stadt ahnte, daß der Statthalter [325] und die Räte nicht mehr in den Mauern seien. Daher waren die Anhänger des Bundes noch immer getrosten Mutes und glaubten nicht an die Gerüchte von der schnellen Annäherung des Herzogs.

Der Marktplatz war damals noch das Herz der Stadt Stuttgart; zwar hatten sich schon zwei große Vorstädte, die Sankt Leonhardts- und die Turnieracker-Vorstadt, um sie gelagert, welche, mit Graben, Mauern und starken Thoren versehen, das Ansehen eigener Städte bekommen hatten; aber noch standen die Ringmauern und Thore der Altstadt, und ihre Bürger sahen nicht ohne Stolz herab auf die Vorstädtler. Der Marktplatz war es, wo nach alter Sitte bei jeder besondern Gelegenheit die Bürger sich versammelten; auch an dem wichtigen Abend vor Mariä Himmelfahrt strömten sie dorthin zusammen. Zur Zeit, wo der Bürger noch mit der Wehre an der Seite auftreten durfte, hatte sein öffentlich gesprochenes Wort auch mehr zu bedeuten als in späteren Tagen, wo die Tinte, Feder und Papier die Oberhand gewannen. Und wahrlich, die Bürger von Stuttgart waren bei Nacht und in Massen versammelt ganz andere Leute als morgens. Mancher, der, hätte man ihn vormittags um seine Meinung wegen des Herzogs gefragt, antwortete: „Was geht es mich an, bin ein friedlicher Bürgersmann“, erhob jetzt seine Stimme und schrie: „Wir wollen dem Herzog die Thore öffnen, fort mit den Bündischen – wer ist ein guter Württemberger?“

Der Mond schien hell auf die versammelte Menge herab, die unruhig hin- und herwogte. Ein verworrenes Gemurmel drang von ihnen in die Lüfte; noch schienen sie unschlüssig, vielleicht weil keiner kühn genug war, sich an die Spitze zu stellen. Aus den hohen Giebelhäusern, die den Platz einschlossen, schauten viele hundert Köpfe auf den Markt hernieder; es waren die Weiber und Töchter der Versammelten, die ängstlich und gespannt auf das Gemurmel lauschten. Denn die Stuttgarter Mädchen waren damals ein neugieriges Völkchen und hielten es im Herzen aus Mitleiden mit dem Herzog.

Schon wurde das Murmeln der Menge immer lauter und verständlicher; der Ruf: „Wir wollen die Knechte vom Thor wegjagen und die Stadt dem Herzog aufthun“, immer deutlicher, da


  1. Christoph Freiherr von Schwarzenberg (1488–1538), bayrischer Hofrichter und später Obersthofmeister, Sohn des berühmten Staatsmannes Joh. von Schwarzenberg, wurde 1519 vom Herzog von Bayern zum Statthalter von Württemberg ernannt.
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Wilhelm Hauff: W. Hauffs Werke. Bibliographisches Institut, Leipzig, Wien 1891–1909, Seite 324–325. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:De_Wilhelm_Hauff_Bd_1_185.jpg&oldid=- (Version vom 31.7.2018)